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Hausers Zimmer - Roman

Hausers Zimmer - Roman

Titel: Hausers Zimmer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Main> Schöffling & Co. <Frankfurt
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sollte es die großen Ostermärsche für den Frieden geben, die britisch-argentinischen Verhandlungen über die Falklandinseln waren gerade gescheitert, die Russen waren in Afghanistan. Im Kosovo und im Nahen Osten brodelte es, aber Herr Carstens ging frohgemut wandern. Mitten in Berlin schliefen wir alle vier an diesem Abend vor dem Fernseher ein.
    Nachdem ich wieder aufgewacht war, schlich ich mich in mein Zimmer zurück. Die Weihnachtsdekoration der Pechs schickte immer noch ihr wildes Irrlicht durch den Hof. Beim Hauser brannte leider kein Licht, und ich malte ein dunkles Quadrat in mein Hauser-Heft. Alles und nichts . Immer wieder sah ich Schatten in der Dunkelheit, einmal geleitete Fred die leise vor sich hinschimpfende Frau Koderitz über den Hof. Für einen Momen t – vielleicht war es meiner Müdigkeit geschulde t – schien mir unser Haus, der Hof, meine Familie, meine ganze Umgebung vollkommen irreal. Alles war Kulisse, alles konnte morgen vorbei sei n – bis auf die Ratten, die Tauben, die Ruine der Gedächtniskirche und das jetzt im beginnenden Schneeregen flimmernde Lichtviereck auf der anderen Seite des Hofs. Ich stand am Fenster, hörte auf das Glucksen und sah in den schwarzen Himmel, der von unten her erleuchtet wurde, als hätte er orangefarbene Wurzeln geschlagen. Dann holte ich mein Hauser-Heft heraus und malte neben das schwarze ein orangefarbenes Quadrat.
    Einige Tage später herrschte bei uns vor dem Fernseher große Aufregung. Über das weiche Gesicht meines Vaters schienen viele Gesichter auf einmal zu gleiten, so aufgeregt war er.
    »Eine neue Linkspartei wurde gegründet!«
    Auch Wiebke rutschte unruhig auf ihrem Sessel hin und her. Ihre Röcke raschelten in einem fort. Ich setzte mich zu den beiden. Sofort lächelten sie. Wenn man Interesse an politischen Zusammenhängen an den Tag legte, freute sie das jedes Mal.
    »Der Bundestagsabgeordnete Manfred Coppik tritt aus Protest gegen die Regierungspolitik aus der SPD aus.« In diesem Moment gab es eine Bildstörung. Klaus sprang auf und hantierte hektisch an der Antenne herum. Das Bild war völlig verwackelt, aber wir verstanden immerhin noch: »Er plant die Gründung einer neuen Linkspartei, die sich ›Demokratische Sozialisten‹ nennen wird.«
    »Ist das schlimm für die SPD ?« Falk kam von hinten mit seinem Zauberwürfel und einem Päckchen Tabak herangeschlurft.
    Wiebke und Klaus schienen nicht genau zu wissen, wie sie diese Nachricht bewerten sollten. Schließlich meinte Klaus: »Ob man wohl in dreißig Jahren noch von diesem Coppik sprechen wird?«
    »Nachher spricht in dreißig Jahren jeder von dem Coppik-Jahrzehnt, dem wichtigen Nachkriegspolitiker Coppik, und niemand mehr vom Pershing-Schmidt. Der hat sich dann doch eh längst zu Tode gequarzt«, behauptete Falk.
    »Er hat letztens in Washington wirklich schlimm gehustet«, stimmte Wiebke zu.
    Klaus schien nicht überzeugt. »Ein Hitzkopf dieser Coppi k … Demagoge.« Er schüttelte den Kopf.
    »Ich finde es schlimm, wenn sich die Sozialdemokraten weiter aufspalten«, meinte Wiebke nun. »Ob das jetzt ein Riesending wird mit diesen ›Demokratischen Sozialisten‹ oder ob die untergehen werden: das alles schwächt doch die Sozialdemokraten, diese Kleinkriege und Abspaltunge n … Haben die im Moment nicht wichtigere Probleme als solche Grabenkämpfe?«
    Niemand sagte etwas, jeder grübelte vor sich hin.
    »Kla-haus, mach mal den Coppik«, bat ich meinen Vater.
    Klaus grinste und begann sich zu konzentrieren. Dann legte er die Stirn in Falten, machte ein sehr ernstes Gesicht, das gleichzeitig aber auch gestaute Wut andeutete, man hatte das Gefühl, gleich könnte er explodiere n – jetzt hatte die Bildstörung aufgehört, und ich fand, dass ihm der Coppik ziemlich gelungen war. Hoffentlich gab es noch öfter Anlass für Klaus, den Coppik zu machen. Schmidt mochte der bessere Politiker sei n – ihn nachzuahmen war ziemlich langweilig. Wenn Klaus Schmidt spielte, machte er bloß ein ernstes Gesicht und zündete sich eine Zigarette an.
    Später las ich mit einem Kissen auf dem Fensterbrett Draußen vor der Tür von Wolfgang Borchert für den Deutschunterricht. Der Hauser war nicht da. Es fing an zu hageln. Ich hörte dem Hagel zu. Wie unterschiedlich es klang, wenn er auf die vielen verschiedenen Gerätschaften im Hof fie l – eine Sinfonie nur für mich. Und für Frau Koderitz, die in Nachthemd und Hausschuhen auf den Hof trat, die Arme himmelwärts ausbreitete wie eine

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