Hausers Zimmer - Roman
und Wiebke stierte noch emsiger in ihr Buch. Antigeburtstagsstimmung. In anderen Jahren hatten wir uns gemeinsam überlegt, wo Klaus wohl stecken könnte. Diesmal dachte ich nur: Hoffentlich ist er nicht in die Peepshow gegangen.
Kurze Zeit später sah ich den Hauser und seine Silberne Handtasche am Ludwigkirchplatz wieder. Es war noch kalt, ich trug Mütze und Schal. Und weil es jederzeit, wie Wiebke gesagt hatte, eine Husche geben könnte, mein grottenolkhässliches Regencape.
Ich schlenderte eine Weile allein um die Tischtennisplatten herum, bis Fiona kam. Wir spielten beide nicht gut, und es war mühselig, sich ständig nach dem Ball zu bücken. Nach zwanzig Minuten mussten wir aufhören, denn wir hatten den einen Ball zertreten und den anderen unauffindbar in eine Hecke geschmettert. Im Gebüsch fanden wir zerfledderte Comics, blutige Taschentücher, Spritzen, einen zerissenen Perlonstrumpf und Kondome, nur unseren Ball nicht.
Während ich im Gebüsch herumsuchte, fiel mir ein, dass wir auf einem der »verbotenen« Spielplätze waren, also auf einem, auf die Falk und ich früher nicht gehen durften, weil dort angeblich zu viele Spritzen von Heroinabhängigen herumlagen. Der Ball blieb unauffindbar, vermutlich steckte er in einem Haufen Hundescheiße. Da endeten unsere Bälle oft. Und während ich mir meinen Weg zwischen Hunde- und Taubenscheiße bahnte, liefen der Hauser und Silberne Handtasche an mir vorbei. Sie liefen Hand in Hand, ab und zu ließen sie sich los, dann bissen sie gegenseitig von ihren Hamburgern ab. Die Handtasche hatte blond gefärbte, dauergewellte Haare und trug große pinkfarbene Plastikromben als Ohrschmuck. Und eine babyrosa Steppjacke. Der Hauser redete die ganze Zeit laut. Ich blieb mit angehaltenem Atem stehen und hoffte, dass er mich nicht sehen würde: in meinem viel zu groß geratenen, abscheulichen Regencap e – auf allen Vieren im Gebüsch herumkriechend.
Aber der Hauser guckte gar nicht auf den Boden, sondern fingerte am Busen seiner Begleitung rum. »Wir sind gleich zu Hause!«, rief sie laut auf der Straße und, wie ich meinte, nicht mahnend, sondern erwartungsfroh. Ich folgte ihnen im sicheren Abstand und verzog mich in unserer Wohnung gleich in mein Reich.
Schon ging das orangefarbene Licht an. Kaum waren die beiden in Hausers Zimmer angelangt, zog sich Silberne Handtasche bis auf einen übrigens silbernen BH und Slip aus und räkelte sich, wie ich fand, ein wenig albern auf dem Bett. Der Hauser beschäftigte sich eine ziemliche Weile mit seiner Stereoanlage, ging noch mal aus dem Zimmer, kam mit Bierflaschen zurück. Schließlich legte er sich in voller Ledermontur aufs Bet t – Silberne Handtasche öffnete nur seinen Hosenstall und setzte sich auf ihn. Ich sah eine Weile lang ihren wippenden Brüsten und fliegenden Dauerwellenlocken zu. Von draußen erklangen von irgendwoher Sprechchöre einer Demonstration, wie mir schien, sie wurden lauter und ebbten wieder ab, dann hörte man nur noch Hundekläffen und das übliche Klappern von Kohleeimern. Es schien, als wären der Hauser und Silberne Handtasche Darsteller in einem Fil m – ein orangefarbener Streifen, der neben dem Film vom Alltag in der winterlichen Stadt lief, zwei Menschen, fern von allem. Ich sah sie in diesem Fenster, wie ich den aufsteigenden Mond sah, der auch zum Greifen nahe zu sein schien.
In der Schule herrschte Aufregung, weil in wenigen Tagen, am 28 . Februar, zum ersten Mal eine Fernsehsendung in 3-D gezeigt werden sollte. In den Pausen fachsimpelten alle darüber. Aus der Ferne sah ich Joshua, der große Reden über die Veränderung unseres Denkens durch 3-D-Filme hielt und den Gipsarm, den er seit Neuestem hatte, bestaunen ließ. Larissa und Melanie beugten sich kichernd darüber und krakelten Herzchen in verschiedenen Farben auf die kaum noch vorhandenen weißen Stellen.
Ich schlich zu den verwaisten Tischtennisplatten, diese Pseudoexpertengespräche interessierten mich nicht. Auf einmal stand Steffen neben mir. »Gehen dir unsere schwer kenntnisreichen Cineasten auf den Keks?«
Ich stöhnte nur auf.
»Ich hab da ein Gegenmittel, um den Schulhof nicht mehr zu höre n …«
»Ohropax?«
»Nein, Kopfhörer.«
Wir setzten uns auf den Rand der Tischtennisplatte, und ich hörte mir Anthony Davis’ Suite for Another World an. In einiger Entfernung sah ich Rolf, Melanie und Larissa eng beieinander stehen und mit dem Oberkörper wippe n – ebenfalls eine stumme Walkmangemeinschaft. Auf einmal
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