Hausers Zimmer - Roman
einem Sitarduo untermalten Walfischgesänge bereiteten eher Kopfschmerzen als Entspannung. Walfischen sollte man kein Mikro vor die Barten halten.
Mit schweren Beinen stand ich auf, nahm meinen Atlas, der auf dem Nachttisch lag, und lernte die Namen von geheimnisvoll klingenden Flüssen in Patagonien auswendig. Río Negro, Río Limay, Río Neuquén, Río Chubut, Río Chico, Río Desead o … Warum hing Isa immer mit diesen primitiven Leuten aus der Schule rum? Der Hauser dagegen war doch bestimmt ein weitgereister Mann? Ich weiß es nicht, ich weiß gar nicht s … Jetzt möglichst still liegen bleiben. Keine Bewegung. Wenn, dann nur in Zeitlup e … Die Welt dreht sich und dreht sich, immer langsamer, nichts passiert mehr, alles stil l … Stillstan d … Einschlafen.
Verdammt. Es klappte einfach nicht. Ich hievte mich aus dem Bett, um mir einen Schluck Wasser zu holen. Der Allibert stand halb offen; als ich die Tür berührte, fiel mir eine kleine Packung entgegen. Auf die Pappschachtel hatte Wiebke mit schmierigem Kugelschreiber geschrieben: »Viermal so stark wie Adumbran«. Adumbran war ein Beruhigungsmittel. Neugierig betrachtete ich das braune Glasdöschen. Dicke, weiße Tabletten, die wie Bohnen aussahen. Ich nahm einen Schluck Wasser, weg war die Bohne. Nach einer Stunde lag ich immer noch wach. Ich hatte Ohrensausen, und meine Glieder fühlten sich schwer an. Doch ich blieb wach.
Der Hauser kam mit einer Frau in engen, roten Lederhosen mit einem schmalen silbernen Gürtel und einer winzigen, silbernen Handtasche über die Straße geschlendert, einer hübschen Proletenrockeri n – das war kein Traum, nein, ich stand schlaftrunken mit meinem Minifernglas in der Dämmerung am Fenster. Die Frau hatte kurze Haare, es war nicht die gleiche, mit der ich ihn im Rattenloch gesehen hatte.
Sie lachten beide. Wie breitbeinig der Hauser ging. Sein Bauchansatz über der großen Gürtelschnalle, die die Form eines Löwen hatte. Er klatschte wild in die Hände, zappelte herum, lief im Kreis. Die Frau lachte, schüttelte den Kopf und küsste ihn auf den Mund. Er zog seinen Schlüsselbund hervor, dann verschwanden sie in der Durchfahrt. Wer die Frau wohl war? Seit wann der Hauser sie wohl kannte? Seit kurzem? Hatte er der Rattenlochblondine den Laufpass gegeben, oder war er parallel mit beiden Frauen liiert? Ich fiel müde ins Bett. Pokale stürzten von Regalen, Frau Hülsenbeck stand am Flughafen Tempelhof und musterte Rockstars aus, Melanie kaute Himbeerkaugummi, während sie den anderen ihre neuen Rollerskates zum Bewundern hinhielt. Anna flüsterte »Libertad, Libertad«, während sie einen nackten Mann, der wie ein Indio aussah, küsste, Fiona trug einen riesigen flamingofarbenen Hut und sagte: »Den hat mir das Ekel aus der Peepshow mitgebrach t …«
Als ich am nächsten Tag nach der Schule in meinem Zimmer saß und einen Beitrag von Falk in der neuen Ausgabe des Stacheldraht las (Titel: »Tag Y, hat es das gebracht? « – es ging um die kurzzeitige Besetzung eines Hauses in der Goebenstraße), stürmte Wiebke herein: »Kleines, ich muss zu einem Vortrag ins Völkerkundemuseum! Bin sozusagen nicht mehr d a – kannst du die Flaschen wegbringen!«
Ein »Bitte« wäre auch nicht verkehrt. Ich überlegte noch, was ich von Falks neuem Pseudony m – Zauberpil z – halten sollte und beobachtete Wiebke, wie sie mit dem schweren Türschloss kämpfte, das aussah wie aus dem vorletzten Jahrhundert, und dabei immer wütender wurde. Der Schlüssel dazu war riesig und hatte bisher in jede Jackentasche von mir ein Loch gerisse n – außer in die des hässlichen Regencapes. Anstatt über das Schloss zu schimpfen, brüllte Wiebke erneut: »Flaschen wegbringen!«
Ich hatte meine Mutter sehr gern, aber manchmal fragte ich mich, warum ausgerechnet sie auf die Idee gekommen war, Falk und mich in einen antiautoritären Kinderladen zu schicken.
Ich stöhnte auf und schlurfte in die Küche. Zwei Minuten später lief ich mit Klaus’ unzähligen Weinflaschen auf die Straße in Richtung Fasanenplatz. Da stand der Hauser. Ohne Silberne Handtasche, wie ich die Frau von gestern nannte. Er warf Flaschen in den Container und schien sich einen Spaß daraus zu machten, die kleinen runden Öffnungen zu treffen. Zwei, drei Flaschen kullerten zu Boden, ohne kaputtzugehen. Die hob er auf und warf erneut. Ich blieb in einigem Abstand stehen. Plötzlich rief er: »Fangen!«
Ich zuckte zusammen und hielt auf einmal eine Schultheiß-Flasche in
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