Hausers Zimmer - Roman
stets nur Liebespaare. Doch der Hauser und seine Begleitung machten es sich offenbar lieber im Rattenloch gemütlich. Irgendwo weiter hinten vor der Brandmauer meinte ich einen Mann zu sehen, der sich an der alten Schreibmaschine zu schaffen machte. Vielleicht der Olk? Ich hielt mich hinter einem winterlichen Buschgerippe versteckt. Der Hauser sah mich nicht, er schob seine Hände unter den silbernen Anorak der Frau. Sie warf ihre langen blonden Haare in den Nacken.
Sie knutschten eine Weile herum, dann stand er auf und kramte in seinem Rucksack. Er stellte sich auf einen der Erdhügel und zündete zwei, drei Silvesterraketen. Goldregen. Im Licht der verglühenden Rakete las ich an der Brandmauer: Wenn jeder an sich denkt, ist an alle gedacht. Der Hauser und seine Geliebte fassten sich an den Händen und tanzten Ringelreihen, dann schleckten sie sich wieder ab.
Nachts blieb sein Zimmer dunkel.
Auf dem Schulweg am nächsten Tag sah ich Herrn Adán eine Karte mit »Heimischen Giftpflanzen« ins Schaufenster stellen. Er lächelte mich an und winkte mir zu. Sein Lächeln hatte eindeutig mir gegolten, nicht Fiona, die hübscher war als ich, oder Isa, die erwachsener wirkte. Wahrscheinlich hatte es ihm geschmeichelt, dass ich so viel über seine Heimat wusste.
Fiona stieß mich in die Seite. Ein Künstlerpaar, mit dem Wiebke und Klaus befreundet waren, huschte hastig, Hand in Hand, hinter den Vorhang zur Peepshow. Die letzte Nacht hatte wohl auf beiden Seiten einige Wünsche offengelassen.
Als wir auf dem Oberdeck des Busses auf »unseren« Sitzen über der Heizung saßen, fragte ich mich wieder, ob Klaus wohl neulich wirklich in der Peepshow gewesen war. Ihn einfach zu fragen, traute ich mich nicht. Es gab mir zu denken, dass auch Leute, die er gut kannte, da hineingingen, nicht nur Olks und Kanz e …
Dann dachte ich daran, wie der Hauser diese blonde Frau im Rattenloch geküsst hatte. Ich war mir nicht sicher, ob ich eifersüchtig war. Wollte ich die Freundin vom Hauser sein oder selber ein bisschen wie der Hauser?
Ich hätte an diesem Morgen über viele interessante Dinge weiter nachdenken können, wenn mein Gehirn nicht durch sinnfreien Unterricht kurzzeitig in den Vorruhestand geschickt worden wäre. Wir mussten verschiedene Farbexperimente machen. Aus einer roten Flüssigkeit sollte durch Dazuschütten einer anderen Flüssigkeit eine durchsichtige werde n – Gott sei Dank hatte ich mir nichts davon gemerkt, denn das Experiment funktionierte nicht, und am Ende standen wir alle vor kackbraun gefärbten Berliner Dreckspfützenröhrchen. Da hätte ich auch Regenwasser von einem eingedellten Mülltonnendeckel bei uns im Hinterhof nehmen können.
Herr Knecht hatte natürlich irgendeine Erklärung für das Missgeschick parat, aber ich hörte nicht mehr zu. Immerhin hatte er mich heute wegen seiner Kurzsichtigkeit mit Claudia verwechselt. »Claudia, geh du doch mal zur Isa in die gleiche Arbeitsgruppe, damit Julika und Isa nicht so viel tuscheln.« Herrn Knechts Ohren funktionierten besser als seine Augen.
Nach dem Abendbrot, das heute aus Wiebkes und Klaus’ lautem Nachdenken über die Folgen des Nato-Doppelbeschlusses bestand, schaute ich zum Hauser rüber. Die Fenster waren dunkel. Ich sehnte mich nach seinem flimmernden orangefarbenen Licht in unserem Hof. Es zischte und sprudelte in meinem Wasserglas, wenigstens sah meine Waldmeisterbrause wie Wasser aus einem Urwaldteich aus. Dazu lutschte ich noch grünes Wassereis, das Wiebke und Klaus nur höchst widerwillig für uns kauften, weil es »keinerlei Vitamine« enthielt, so Wiebke, und weil die wurstförmigen Plastikschläuche, in denen es verkauft wurde, »unappetitlich« aussähen, so Klaus. Ich beobachtete, wie Herr Pech in Hausschuhen mit zwei Mülltüten über den Hof trippelte. Wie immer warf er die Hälfte daneben. Menschen brachte er in Schwierigkeiten, wenn ihre TÜV -Plakette abgelaufen war, Ratten ernährte er. Vielleicht war er kurzsichtig. Vielleicht warf auch Herr Knecht seinen Müll neben die Tonnen. So fing es mit dem Altwerden wahrscheinlich an. Von gegenüber konnte man lautstark eine Operette hören. Im Fenster zeichnete sich eine neongelbe Erscheinung mit Bratpfanne ab, die schwankende Tanzbewegungen ausführte. Fred wieselte aufmerksam um sie herum. Von fernen Höfen drang ein untergründiges Dosenkickgeräusch zu uns.
In dieser Nacht versuchte ich, mit einer Meditationskassette von Wiebke einzuschlafen. Aber es gelang nicht. Die von
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