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Hausers Zimmer - Roman

Hausers Zimmer - Roman

Titel: Hausers Zimmer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Main> Schöffling & Co. <Frankfurt
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aber Fiona und Isa gaben sich solidarisch.
    Zwanzig Minuten später kam Klaus mit einem neuen Schal zurück auf die Straße. Er ging nicht nach Hause, sondern in Richtung U-Bahnhof Uhlandstraße auf dem Ku’damm. Wir folgten ihm. Unter der leeren Polizeikanzel saßen zwei abgemagerte Frauen in fleckigen kurzen Kleidern ohne Strümpfe und bettelten. Klaus nahm die U-Bahn in Richtung Schlesisches Tor. Vielleicht stieg er ja wirklich am Halleschen Tor aus und ging in die Amerika-Gedenkbibliothek. Ich würde es nie herausfinden, denn nun kam unser 19er-Bus und nahm uns mit in die entgegengesetzte Richtung.
    Abends hatte ich keine Lust, zum Töpferkurs zu gehen. Töpfern? Nein Dank e – dieser Aufkleber fehlte mir noch an meiner Tür. Ich ging heute jedenfalls lieber ins Rattenloch. Schon lief ich am Mottenmuseum und am Fasanenplatz vorbei. In der Luft hing der Geruch von Kohle und Brennholz, immer noch, im April. Ecke Ludwigkirchstraße schälte sich die Reklame dickschichtig von den feuchten Holzbrettern. Ich zwängte mich durch die Lücke zwischen Zaun und Brandmauer. Irgendein Scherzkeks hatte an die Mauer geschrieben: Alle reden von Umweltverschmutzun g – wir machen sie . Ich bugsierte mich weiter durch das Gestrüpp aus Brennnesseln und Büschen. Wie angewurzelt blieb ich stehen.
    Da stand der Hauser mit seinem Luftgeweh r – ich sah seine breite Gürtelschnalle in der Sonne aufblitzen, die Cowboystiefel glänzte n … Er beugte sich etwas nach vorne, nahm eine Dose ins Visier, die er auf die Arieltonne gestellt hatte, un d – schoss. Zack, fiel die Coladose herunter. Der Hauser wiederholte das Spiel ein paar Mal. Dann richtete er sein Gewehr auf eine Ratte, ließ es aber gleich wieder sinken. Ich war mir sicher, sie hätte sich eh nicht erwischen lassen. Das war ihm wohl auch klar, er wollte eine Schlappe vermeiden.
    Der Hauser warf das Gewehr fort und legte sich der Länge nach ins Gras, schloss die Augen und döste. Eine Weile lang starrte ich ihn an, wie er zufrieden da lag, dann schlich ich mich vorsichtig von dem verwilderten Grundstück zurück auf die Straße. Von Weitem sah ich Karl und Erwin eng beieinander auf einem Mäuerchen sitzen und Wiebkes Nusswaffeln essen; beide in Hemden meines Vaters.
    Ich war damit beschäftigt, meine Hauser-Notizen zu machen und hörte deshalb bei der Tagesschau nur halb zu. Es ging um Weizsäcker, Berlins Regierenden Bürgermeister, der sich über irgendetwas in Berlin aufregte, von Versäumnissen seines Vorgängers sprac h – und Klaus übernahm dessen ernsten, etwas finsteren Gesichtsausdruck. Auch schien seine Nase länger zu werden und sein Kinn kantiger. Klaus ärgerte sich immer noch, dass Weizsäcker im letzten Sommer Hans-Jochen Vogel abgelöst hatte, der nur ein halbes Jahr im Amt gewesen war. Seit seiner Abwahl schien Falk und mir, dass unsere Eltern noch etwas betrübter waren. Jedes Mal, wenn Klaus vor einem Weizsäcker-Wahlplakat stand, das wenig originell mit »Eine rechte Hand für Berlin« warb, rief er: »Lieber zwei linke Hände für diese Stadt als eine rechte!« Aber der Wind hatte sich damals gedreht, und nach den langen Dietrich-Stobbe-Jahren wurde Weizsäcker mit dem bislang besten Ergebnis der CDU in Berlin gewählt. Und an jenem Junitag im vergangenen Jahr hatte Wiebke zu Klaus mit einem Stoßseufzer gesagt: »Klaus, jetzt sind die Siebziger wirklich vorbei. Das ist langsam auch hier angekommen.« Man hätte denken können, sie sprächen von einer Kleinstadt am Rande der Welt.
    Nach der Tagesschau brachen Wiebke und Klaus zu einer Vernissage auf. Klaus stand neben der Straßenabsperrung vorm Spiegel und legte sich den türkisfarbenen Schal um, den er vorgestern gekauft hatte.
    Wiebke runzelte die Stirn. »Wo hast du den denn her?«
    »Trödelmarkt«, behauptete Klaus. Ich hielt die Luft an.
    »Du hast ja echt ein Händchen für so was«, meinte Falk, »echt edle Sachen, die du vom Grabbeltisch ziehst, ist j a … ey, das ist ja Kaschmir.«
    »Ja, äh, ein echtes Schnäppchen.« Klaus guckte unsicher und grinste.
    »Ich finde den Stoff zu flauschig«, sagte Wiebke kurz, dann widmete sie sich unserem Stangenschlos s – der übliche Kampf begann. Es quietschte immer, als bewohnten wir eine mittelalterliche Burg oder vielmehr ein Verlies.
    Falk würde ich verraten, wo Klaus diesen Schal her hatte.
    Am nächsten Tag lief ich nach acht Stunden Schule sofort zum Rattenloch. Ich schob die Brennnesseln mit angewinkelten Ellbogen zur Seite, dann sah ich

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