Hausers Zimmer - Roman
du viele Filme mit ihr gesehen?«, fragte ich.
»Jaja, natürlich, natürlic h …« Klaus wirkte zerstreut. Es kam keine konkrete Antwort mehr.
In der Küche stieß ich auf Falk. Ich goss mir ein Glas Fassbrause ein, er sich eine Cola. Ich dachte, ich träume.
»Wo hast’n die her? Doch nicht von Wiebke.«
»Nee, selber besorgt, verschwindet auch gleich wieder.«
Wir hörten die Dielen knarren.
»Ach, hier seid ihr beiden«, murmelte Wiebke zerstreut und legte einen Stapel Manuskripte und Kinderbuchillustrationen auf dem Tisch ab. Sie hob den Kopf, gewann an Orientierung.
»Was trinkst du denn da?«, fragte sie Falk.
»Kamillentee«, seufzte er.
»Na ja, du bist ja alt genug, du musst das selber wisse n …« Wiebke gab sich tolerant, man sah ihrem Gesicht jedoch an, dass sie mit dem, was sie gerade von sich gegeben hatte, schwer zu kämpfen hatte. Und schon fuhr sie los: »Letztens habe ich wieder gelesen, wie schädlich Cola ist. Es gab einen Versuch, bei dem ein Stück Fleisch in ein Glas Cola gelegt wurd e – und am nächsten Morgen war es weg! Und nun stell dir mal vor, was da so mit deinem Magen passiert, wenn du da die Col a …«
»Das mit dem Fleischstück ist einfach Schwachsinn«, sagte Falk. »Wo soll das denn geblieben sein?«
»Aufgelös t … zersetzt?«
»Den Gegenbeweis liefern doch täglich Millionen Colatrinker, ihr Magen ist doch nicht am nächsten Morgen einfach weg.«
»Das ist nicht das Gleiche, wir haben ja die Magensäure, die uns bei der Verdauung hilft.«
Falk rollte mit den Augen, und ich sah seinem Gesicht an, dass er gerade einen Strategieumschwung ersann.
»Okay, du hast recht! Cola frisst den Magen auf. Dann mache ich jetzt mal ein großes, schönes schwarzes Loch in meinen Bauch!« Er leerte sein Glas in einem Zug.
Ich hatte mich getäuscht, wenn ich geglaubt hatte, Wiebke würde sich jetzt aufregen und hätte nicht ebenfalls einen neuen Plan zum Umgang mit ihrem Sohn ausgeheckt.
Während sie ihre Manuskripte zusammenraffte, gab sie ruhig und nicht ohne Stolz zurück: »Du solltest mal mit deiner ewigen Nihilismus-Koketterie aufhören. Du lebst doch wie die Made im Speck, faulenzt die ganze Zeit herum, was soll dieses komische Selbstmitleid eigentlich? Du bist nicht wie ich als Kind durch eine kaputte Stadt gelaufen und hast Tote gesehen!«
Die Dielen knarrten wieder, und Wiebke bekam Verstärkung.
Von der Türschwelle her rief Klaus: »Du machst aus Malewitsch einen Modekünstler, den du immer nur dann aus der Schublade holst, wenn es dir in den Kram passt. Außerdem verstehst du ihn völlig falsch: Malewitsch ist ein Vertreter des Suprematismus, nicht des Nihilismus!«
Falk stöhnte: »Verdammt, ich wollte doch nur mal ein Glas Cola trinke n …« Er stand auf und schubste sich an unseren Eltern vorbei in den Flur. Dann drehte er sich noch einmal um, und ein Lächeln glitt über sein Gesicht: »Würdet ihr verschwinden, wenn ich jetzt ein Glas Cola über euch ausschütten würde?«
Am Abend blieb der Hauser beim Zappen bei dem gleichen Film hängen, den Wiebke und Klaus gerade sahen: Gruppenbild mit Dam e – mit Romy Schneider als Leni Gruyten. Vermutlich würden in den nächsten Wochen viele Romy-Schneider-Filme im Fernsehen laufen, und viele davon würden Wiebke und Klaus zum ersten Mal sehen.
Nuku pommiin – Sterbende Geschichte
Am 24 . April hockten wir vier gemeinsam mit Fiona, Anna und einem mir bislang unbekannten Mann an Annas Seite, der sich Wolf nannte, vorm Fernsehe r – doch diesmal sahen wir keine politische Sendung und auch keinen Film mit Romy Schneider, sondern die Übertragung des Grand-Prix-Schlagerwettbewerbs aus dem britischen Harrogate.
Wiebke und Anna begeisterten sich für Kojo , der Finnland vertrat. Nuku pommiin , zu Deutsch Atombombe , war ein mit Verve vorgetragenes Friedenslied nach ihrem Geschmack. Doch natürlich gewann Nicole den Wettbwerb mit Ein bisschen Frieden .
Wiebke echauffierte sich über diesen Sieg (egal, worum es ging, deutsche Siege waren ihr grundsätzlich suspekt): »Diese weiße Gitarre und hinten das weiße Klavier, das ist doch wirklich biedermeierlich, und warum nur ›ein bisschen‹ Frieden?«
Anna stimmte ihr zu: »Die ist eben noch ein bisschen sehr jung, der Song ein bisschen unausgegoren, und sie traut sich auch nur, ein bisschen politisch zu sein.«
»Ich weiß gar nicht, was ihr gegen diese nette junge Frau habt«, meinte Falk. Ich sah meinem Bruder an, dass er fest entschlossen war, Wiebke und
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