Hausers Zimmer - Roman
Anna zu ärgern. »Ich wusste auch gar nicht, dass ihr auf Männer mit Fönwelle, weißem Hemd und rotem Jackett steht.«
»Vielleicht ist das eine versteckte Botschaft? Kojo, der Rote?«, überlegte Anna.
Wolf nahm sofort entschlossen Annas Hand.
»Immerhin sieht Nicole nicht so tussig aus wie die anderen aufgedonnerten Tanten«, unterstützte ich Falk und spielte mit meinem Pony, der mir auch bis über die Augen hing.
Klaus hob nun zu einem Lob über den »unprätentiösen Auftritt« an. Wiebke und Anna schüttelten ostentativ den Kopf und warfen sich komplizenhafte Blicke zu, bevor sie plötzlich laut Nuku pommiin anstimmten, was aus ihren Mündern ziemlich merkwürdig klang.
Jetzt durfte Nicole, als Siegerin, ihr Lied noch einmal singen. Einzelne Strophen trug sie auch auf Holländisch, Englisch und Französisch vor. Das Publikum brach in Beifallsstürme aus. Aber Wiebke und Anna waren nicht zufriedenzustellen.
»Ich finde, sie hätte abwechselnd in amerikanischem Englisch und in Russisch singen sollen«, kritisierte Anna. Wolf legte wieder seinen Arm um sie.
Auch wenn Wiebke und Anna streikten: Der April ging in Berlin-West vielerorts mit Ein bisschen Frieden und einem Hauch Sommerwärme zu Ende.
Der 1 . Mai fiel dieses Mal ausgerechnet auf einen Samstag, was Falk und mich sehr verdross: ein verlorener schulfreier Tag. Am Nachmittag gingen wir zur DGB -Demo, nur um sie uns anzuschauen. Falk war der Ansicht, dass es mit der zunehmenden Automatisierung bald gar keine Arbeiter mehr geben würde und folglich auch keine 1 . Mai-Demo.
»Gucken wir uns mal ein Stück sterbende Geschichte an«, sagte er zu mir beim mittäglichen Frühstück.
»Glaubst du wirklich, dass die Arbeiter aussterben?«
»Es gibt ein eindeutiges Indiz: Am Wittenbergplatz hat immer noch ein Fahrkartenmensch in dem Häuschen gesessen, sonst gibt’s ja eh nur noch diese Scheißautomate n – und der ist jetzt auch weg. Noch ein Arbeitsloser und ein kaputter Automat mehr.«
»Überzeugt! Gehen wir zur Demo!«
Auf welch holprigem argumentativen Weg wir auch immer zum Wittenbergplatz gekommen waren, wir standen bald mit anderen Demonstranten unter roten Fahnen. Wir waren umgeben von Familienvätern mit Schnauzbärten und mit Abstand die Jüngsten.
Falk war es bald langweilig. »Los, wir fahren noch zum Fest am Lause Platz.« Dort trafen wir auf seinen Freund Christian und andere Hausbesetzer, die schwer mit sich beschäftigt waren, womit ich sagen will, dass niemand mit mir ein Wort sprach. Ein Gespräch zwischen Falk und einem beeindruckend verzottelten Typen in schwarz-rot gestreiften Röhrenjeans drehte sich geschlagene anderthalb Stunde n – nun j a – um Selbstgedrehte. Als ich später mit Falk in der U-Bahn saß, merkte ich an, dass sich mir das Stück sterbende Arbeitergeschichte auf dem Lausitzer Platz auch nicht näher erschlossen habe, was Falk mit bösem Blick quittierte. Und, schwupp, hatte er seinen Walkman aufgesetzt.
In der Tagesschau sahen wir, dass es natürlich auch im Ostteil der Stadt eine 1 . Mai-Demo gegeben hatte. Sie sah aus, als hätte sie zwanzig Jahre früher stattgefunden. Die Kleidung der Menschen, die Parolen, die Liebknecht- und Luxemburg-Plakat e – es schien nicht so sehr ein anderes Land als vielmehr eine andere Zeit zu sein, die da in unsere West-Berliner Wohnung flimmerte.
Diesmal ging es bei einer unserer üblichen Diskussionen im Anschluss um den Sinn von Demonstrationen an sich. Falk, der auch nur aus Neugierde zur 1 . Mai-Demo gegangen war, fragte Klaus, warum er denn nicht mitgegangen sei. Tatsächlich hatten Wiebke und Klaus uns oft eindrucksvolle Geschichten von 1 . Mai-Demos und anderen Demonstrationen erzählt, zu denen sie in früheren Zeiten marschiert waren. In den letzten Jahren hatte zumindest Klaus’ Interesse daran merklich nachgelassen. Heute verteidigte er sich mal wieder: »Demo s … Politik habe ich in den Siebzigern versucht zu machen, aber ich glaube da nicht mehr dra n … Man kann den Menschen nicht so von oben umerziehen. Es ist viel interessanter und, wie soll ich sagen, liegt mir auch mehr, sich mit den Sehnsüchten der Menschen zu befassen, wie sie sich beispielsweise in der Kunst manifestiere n …«
Leben auf dem Dach – Immergleiches Rosarot
Mit dem Mai begann die Saison, die Falk am liebsten war. Denn das späte Frühjahr war immer der Auftakt für den Summer of Love bei uns: Das halbe Haus ging dann gärtnerischen Tätigkeiten nach. Nicht etwa in einer
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