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Hausers Zimmer - Roman

Hausers Zimmer - Roman

Titel: Hausers Zimmer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Main> Schöffling & Co. <Frankfurt
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keene Angst mehr.«
    Erwins Argumentation leuchtete mir sehr viel mehr ein als alles, was ich bisher zum Thema Kalter Krieg von meinen Eltern, in der Schule, im Radio oder im Fernsehen gehört hatt e – und daher war ich zum ersten Mal froh, dass Wiebke mir den Pennerlieferservice aufgetragen hatte.
    Gut gelaunt machte ich mich auf den Weg zur Apotheke. Herr Adán stand auf einer Leiter, um einen sehr großen weißen Bottich ohne Beschriftun g – was da wohl drin sein mochte ? – von einem Regal herunterzuholen. Sicher würde er gleich eine Creme anrühren.
    Aber leider gab er der Frau mit der randlosen Brille den Bottich, um sich einer aufgeregten Rentnerin zu widmen. Sie lamentierte laut über die Blutdruckprobleme ihres nicht anwesenden Mannes, von dem sie als »dem Schurri« sprach. Ob ich wollte oder nicht, erfuhr ich, dass der Schurri oft ein »ordentliches Temperament« hatt e . Ich erfuhr auch, dass vor zweiundfünfzig Jahren, als sie sich kennen lernten, alles, auch sein Blutdruck, viel besser war. Alles war im Jahr 1930 besser. Ein paar Mal warf Herr Adán mir Blicke zu, aus denen ich zu lesen glaubte, dass er sich lieber mit mir unterhalten hätte.
    Schließlich kam eine junge rothaarige Frau mit Pagenkopf auf mich zu, die ich noch nie hier gesehen hatte. »Und was für Ohropax hättest du denn gern? Welche, bei denen man seinen Bruder nicht mehr schlafen hört, welche, mit denen man auch schwimmen kann, oder welche, bei denen man Schularbeiten machen kann, wenn auf der Straße eine Baustelle ist?«
    Ich versuchte dies alles auf Wiebke zu übertragen und entschied mich dann für die Baustellen-Ohropax. Wiebkes gute Laune am Morgen lag mir doch sehr am Herzen.
    Als ich bezahlen wollte, beugte sich Herr Adán zu der neuen Mitarbeiterin und flüsterte ihr ins Ohr: »Ich kassiere hier mal ab, vielleicht können Sie der älteren Dame behilflich sein.«
    Und schon wechselten die beiden die Plätze. Herr Adán schaute mich mit seinen dunklen Augen an. Zwischen Geld entgegennehmen, Wechselgeld herausgeben und Bon ausdrucken erzählte er mir in rasch gesprochenen, stockend vorgetragenen, leisen Sätzen, dass er als politischer Flüchtling in Deutschland Asyl erhalten habe, aber sein Vater und seine beiden Brüder nicht. Sie waren im Gefängnis. Und er habe in seiner Heimatstadt nicht mehr aus dem Haus gehen können. »Wissen Sie inzwischen über das Pinochet-Regime Bescheid?«, wollte er von mir wissen.
    Ich schüttelte den Kopf. »Nur so’ n … bisschen.«
    Herr Adán lächelte mich jedoch trotz meiner Unwissenheit unverändert freundlich an. »Besser so.«

Stilles Wachstum – I know there’s something going on
    Die nächsten Wochen zogen sich endlos hin, es war, als hätte die Welt, so wie sie war, beschlossen, sich nicht mehr zu verändern. Nur unser Hof wuchs immer weiter zu, Herr Olk rüstete mit besprayten Globen gegen die Kanzschen Brüste auf, es wurden auf beiden Seiten immer mehr. Ich zählte die Wochen bis zu den großen Ferien. Die Zeit verging viel zu langsam. Fiona ging mit gleichbleibender Begeisterung zu ihrer Therapie. Anna machte Yoga und bedruckte mit unermüdlichem Elan ihre Stoffe. Erwins und Karls Bärte wurden länger. Der Hauser war entweder weg oder schlief. Das Einzige, was über alle hereinbrach, war der langersehnte Sommer. Plötzlich roch es nicht mehr nach Kohleofen, sondern nach Grillkohlen. Nachmittags las ich Kakteenführer oder blätterte in Mad -Heften auf Falks Hochbet t – wenn mein Bruder nicht allzu unfreundlich war, vormittags ging ich zur Schule. Wir schrieben Diktate und Tests, eine bescheuerte Gruppensitzordnung wurde von der nächsten abgelös t – wo auch immer ich saß, rammte ich die Rechtshänder, niemand wollte mehr neben mir sitzen. Und neben Isa oder Fiona durfte ich nicht sitzen, weil unsere Klassenlehrerin, Frau Schwundtke, krampfhaft diese Cliquenwirtschaft unterbinden und uns alle so richtig schön »durchmischen« wollte. Immerhin hatte mich Kugeritz seit Neuestem in Biologie neben Steffen gesetzt, denn praktischerweise war er auch Linkshänder, klagte also nicht, dass ich ihn beim Schreiben rammte. Steffen beteiligte sich in keinem Fach mündlich am Unterricht, schrieb aber sehr gute Arbeiten, wenn das Thema nicht gerade Hauptstädte osteuropäischer Länder war. Auf den Hof ging er nicht, er blieb allein im Klassenzimmer und la s – richtig erwachse n – Zeitung. Manchmal warfen ihn die Lehrer raus, dann verließ er das Schulgebäude und kam mit

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