Hausers Zimmer - Roman
Jazz.
Zu Hause fragte ich Falk, was er von Jazz hielt. Ich erwartete das übliche Naserümpfen über alles, was nicht in seinem Plattenschrank stand, aber tatsächlich meinte Falk: »Da gibts gute Sachen, habe ich Respekt vor, muss ich mir bei Gelegenheit mal reinziehen.«
Am Samstag sollte eine Klassenfete stattfinden. Wiebke fand es gut, dass wir mal ausnahmsweise nicht so eine Cliquenwirtschaft zelebrierten, und versprach, mir ein paar Getränke und Knabberzeug zu besorgen. Seitdem die Party beschlossene Sache war, gab es jeden Tag in der Schule eine Diskussion darüber, welche Musik gespielt werden sollte. Ein paar Platzhirsche wollten allein darüber bestimmen und anderen verbieten, Platten mitzubringen. Am Ende stand fest, dass nur Rolf und Oliver und niemand anderes auflegen durften und zwar Duran Duran, Adam and the Ants und Spandau Balle t – Jazz kam nicht in Frage, Steffen wurde sofort abgebügelt: »Dazu kann doch niemand tanzen!« Die Beatles und die Byrds , meine Vorschläge, wurden auch abgelehnt. »Wir leben in den Eighties!« Am Ende ärgerte ich mich so, dass ich mich fragte, ob ich überhaupt zu der Party wollte.
Am Samstagnachmittag stampfte Wiebke in mein Zimmer, die Fußgängerzone, und hielt ein riesiges Bündel Mohrrüben auf dem Arm. »Ich hab dir mal was Originelles für eure Klassenfete mitgebracht. Immer dieser Süßkram, das muss ja nicht sein. Eine echte Ladung Knabberzeugs!«
Sie strahlte mich an. Wiebke glaubte doch nicht im Ernst, dass ich Melanie und Larissa, wenn sie zu Get down on it , Ican’t go for that , oder I know there’s something going on tanzten, eine Mohrrübe in die Hand drücken würde? Ich wurde wütend. Das passierte nur sehr selten, aber ich platzte richtig. Ob sie vollkommen bescheuert sei, fragte ich Wiebke. Und die flippte aus: Sie sei es leid, sich dem ewigen Modeterror meiner Klasse unterordnen zu müssen, sie habe keine Lust mehr, sich unter Druck gesetzt zu fühlen, mir neue Klamotten zu kaufen, und bekomme ständig unterschwellig ein schlechtes Gewissen vermittelt, weil wir keinen Walkman oder anderen technischen Firlefanz hätten, diese frühe Anpassung an die Konsumgesellschaft halte sie für fatal und gefährlic h … Wir redeten überhaupt nicht über die Mohrrüben, aber über viele andere Dinge. Am Ende ließ sich Wiebke auf mein Matratzenlager fallen und heulte. Was der Hauser wohl mit den Mohrrüben gemacht hätte?
Später sah ich Isa in ihren Reiterhosen vom U-Bahnhof nach Hause kommen. Stiefel bis zu den Knien. Erwachsen. Zehn Minuten später saß ich bei ihr auf dem Balkon und aß Pfirsicheis. In einer muttifreien Minute beugte sich Isa zu mir: »Joshua hat mich gefragt, ob ich Sonntagabend mit ins Kino kommen will!«
Sie strahlte mich an. Dann fragte sie mich, ob Steffen mich wieder angerufen habe. »Der steht auf dich, ist doch eindeutig!« Isa sah mich verschwörerisch an.
»Meinst du?«
»Bin mir bombensicher.«
Ich zuckte unbeeindruckt mit den Schultern. Musste man unbedingt auf jemanden stehen, um ab und zu Zeit mit ihm verbringen zu wollen? Ich war jahrelang mit einem Felix befreundet gewesen, bis er nach Bremen zog, und wir standen, glaubte ich, nicht aufeinander. Aber jetzt, wo alle meine Freundinnen kein anderes Gesprächsthema mehr hatten als »Jungs«, konnte es keine andere Möglichkeit geben für einen Anruf außer, dass »der Typ auf dich steht«.
Isa machte jetzt ein bedeutsames Gesicht. »Atombombensicher!«
Ich nickte schwach, um wenigstens ihre verbalen Bemühungen ausreichend gewürdigt zu haben. Frau Hülsenbeck hatte sich in ihr Zimmer zum Zeit -Lesen verzogen, damit war sie eine Weile ausgeschaltet, und Isa sprach jetzt wieder lauter. Steffen sei arrogant und blöd, außerdem sehe er nicht sehr gut aus, meinte sie. Dieser »Hirsel-Mirsel« mit seinen komischen Anzughosen und grauen Hemden. Immer in Grau. Fünfzigerjahrestil. Die komische angedeutete Tolle. Auch seine Nickelbrille gefiel Isa nicht, aber ich erinnerte sie daran, dass ihr allgemein keine Jungs mit Brille gefielen. Sie fand, ich hätte »Besseres verdient«. Wer »Besseres« sein und wie ich ihn finden sollte, war mir allerdings ein Rätsel.
Nach einer Weile fragte mich Isa, wobei sie meinen Arm berührte: »Warst du eigentlich überhaupt schon mal verliebt?«
Isa gegenüber konnte ich einigermaßen ehrlich sein. Sie hing zwar mit der Melanie-Clique rum, aber sie lästerte nicht über mich. Schließlich erzählte ich ihr, dass ich bis jetzt nur
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