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Hausers Zimmer - Roman

Hausers Zimmer - Roman

Titel: Hausers Zimmer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Main> Schöffling & Co. <Frankfurt
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Magenverstimmung, aber dank Kümmel-Anis-Fenchel-Tee, der ihm mit einer Pipette verabreicht wurde, würde es ihm bald wieder bessergehen. Für einen Moment dachte ich: Ich möchte auch ein Karnickel sein, das auf den Arm genommen wird und ein bisschen Tee eingeträufelt bekommt, und alles wird gut. Isa fragte nicht, wie es in Ost-Berlin gewesen war, sie musste gleich los zum Reiten.
    Bei Falk hing Geschlossen an der Tür, von Wiebke und Klaus fand ich einen Zettel vor, dass sie auf einer Vernissage am Lützowplatz seien. Ob ich nicht nachkommen wolle, die Ausstellung sei grandios. Da ich die Meinung meiner Eltern nicht völlig missachtete, warf ich einen Blick auf die Einladung. Die Ausstellung war von dem norwegischen Environment Artist, dessen Installation Weihnachten zu Bruch gegangen war und deren Splitter nun zum Teil in Arnes Haaren und Bart verschwunden waren. Wiebke und Klaus hatten noch eine Wegbeschreibung beigefügt. Sie gaben sich wirklich immer Mühe.
    In meinem Zimmer trat ich erst mal ans Fensterbrett. Ich erhaschte noch einen Blick auf die weiß-braune Frau, wie sie, schon mit nacktem Oberkörper, ihren Slip in die Luft warf, dann fielen die Schatten von dunklen Wolken auf sein Fenster, und ich konnte nichts mehr erkennen. Ich blieb am Fenster stehen und blickte in den nun einsetzenden Sommerregen. Ein Teil der Urbanen Collage brach unter den herabschüttenden Wassermassen zusammen. In den Plastiktüten, die Herr Olk an Drähte gehängt hatte, hatte sich zu viel Wasser gesammelt. Später ging unglaublich laut AC / DC los, gleich darauf bei Pechs Morgens Fang o – abends Tango von Gottlieb Wendehals, bei Herrn Wiedemann etwas aus dem Bereich der Neuen Musik, bei der Koderitz Es ist nie zu spät für ein neues Leben von Heino und aus der Souterraingrotte vom Olk drangen seltsame Geräusche, die mir nach Walfischgesängen klangen.
    Ich lehnte meinen Kopf an die Fensterscheibe und träumte noch ein wenig von dem Tag im Osten und von Steffen. Wie es wäre, wenn er jetzt neben mir liefe und wir uns noch einmal verdünnisieren und spannende Dinge entdecken würden? Die Erwachsenen sprachen immer in einer Weise über dieses Ost-Berlin, über Ostdeutschland, als sei da etwas Dämonisches, etwas, das sie faszinierte und ängstigte. Aber was ich heute zu sehen bekommen hatte, war alles andere als dämonisch. Es sah aus wie bei uns, nur gab es weniger Reklame, und die Farben waren anders, blasser. Und es hatte auch so gerochen wie bei uns, nicht einmal der Geruch der Braunkohle unterschied sich sehr von dem der Steinkohle. Deshalb musste es irgendetwas hinter diesen blassgrünen, schiefergrauen, braunen und schwarzen Türen geben, das ich nicht verstand oder einfach noch nicht gesehen hatte.

Sonne statt Reagan – Hitzköppe
    Am nächsten Morgen wurde ich von Joseph Beuys’ Song Sonne statt Reagan geweckt, den Klaus auf seinem Miniradio hörte, während er vor meinem Zimmer Kunstwerke umarrangierte. Beim Frühstück sprach er davon, wie großartig es sei, dass ein Künstler auf seinem, wie er sich ausdrückte, ureigenen Gebiet, der Kunst, politische Inhalte vermittelt e – und nicht einfach Pamphlete schrieb. Das war für ihn der Unterschied zum »Denkfehler der Künstler in den späten Sechzigern«. Nach dieser Lobhudelei konnte selbst Wiebke, deren künstlerische Ansprüche gemeinhin niedriger waren als die von Klaus, es sich nicht verkneifen zu sagen: »Beuys’ Gebiet ist aber die Bildende Kunst und nicht die Musik.« Doch Klaus war von dem Beuys-Song hellauf begeistert. Am Ende des Jahres 1982 würde mir Sonne statt Reagan genauso auf die Nerven gehen wie die Polonäse .
    Am 6 . Juni begann der Libanonkrieg. Anna und Fiona aßen bei uns zu Abend und blieben noch zur Tagesschau . Zusammen ferngucken war damals noch nicht verpönt, sondern galt als sinnvolle Freizeitgestaltung.
    Ich hatte schon ein paar Mal erlebt, dass Wiebke und Anna sich stritten. Aber dieser Streit stellte frühere über Kinder- und Jugendbücher, die Verpflegung von Erwin und Karl, die Verwendung des Römertopfs oder fragwürdige Bauvorhaben in Berlin in den Schatten. Anna regte sich schrecklichüber den Einmarsch im Libanon au f – Wiebke hingegen äußerte Verständnis für die israelische Seite. Über dieses Thema unterhielten sich die beiden alles andere als sachlich, sie schrien sich an, als läge Israel mitten in Berlin. Wegen keines anderen außenpolitischen Konflikts hatte ich meine Mutter bisher derart an die Decke gehen

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