Hausverbot
Stelle in James. Von nun an klaute ich mit ihm im Schlepptau. Er war immer mit dabei als Schmieresteher. Meine Kleptomanie nahm heftig zu. Ich war drauf. Offenbar wollte ich James gefallen. Ihm ging es genauso. Ich klaute für ihn. Er klaute für mich. Ich war seine Bonnie. Er war mein Clyde.
Damit ich weiterhin in der Böhmler-Klasse bleiben konnte, um etwa in dem Hochbettlager hausen zu dürfen, plante ich, eine Serie großformatiger Bilder für die Jahresausstellung zu malen. Ich wollte zeigen, dass ich noch aktiv studierte. Weil ich in letzter Zeit wegen der Kleptomanie nicht mehr zu Böhmlers Besprechungen aufgetaucht war. Die Keilrahmen für die Bilder konnte man nicht klauen. Die waren zu groß. Ich musste sie kaufen. Mein Vorhaben war ziemlich pompös und viel zu teuer für eine Bafög-Studentin und Stipendiatin der Otto-Benecke-Stiftung. Bespannte Keilrahmen in der Größe kosteten um die einhundertfünfzig Mark pro Stück, und zehn Bilder sollten es schon sein. Die Jahresausstellung stand vor der Tür. Monatelanges Geldauftreiben oder Sparen war nicht drin. Ich brauchte die eintausendfünfhundert Mark sofort.
Der Bescheidwisser James brachte mich auf eine Idee. Ich hatte ein Girokonto bei der Commerzbank, weswegen ich Barschecks besaß. Diese Barschecks waren offiziell bis eintausend Mark gedeckt. Was natürlich relativ war, wenn das Konto nicht gedeckt war. Dennoch musste die Bank das Geld auszahlen, wenn der Barscheck vorlag. Auch an mich selber. Dabei war es wichtig, dass ich den Scheck nicht in der gleichen Filiale einlöste, die mein Konto führte. Ausprobieren kostete mich nichts. Letztendlich tat ich nichts Schlimmes. Ich lieh mir einfach Geld von meiner Bank. Dafür war die Bank ja da. Zwar war da nichts abgesprochen, aber wer sagt denn, dass man sich immer mit seiner Bank bequatschen muss? Mein Dispo war eher am Limit, da hätte mir die Bank auf keinen Fall einen weiteren Kredit ohne Bürgen gegeben. Und woher sollte ich in meiner Lebenssituation denn Bürgen herzaubern? Das kann eher kein Mensch. Zaubern ist nichts anderes als tricksen. Was zerbrach ich mir eigentlich den Kopf? Ich stellte den ersten Scheck aus und fuhr mit dem Fahrrad zu einer Commerzbankfiliale im Freihafen. Ich legte den Scheck hin, wies mich aus und bekam zehn Einhundertmarkscheine auf die Hand. Es war mir klar, dass mein Konto demnächst gesperrt werden würde, bis es wieder aufgefüllt war. Daher stellte ich den zweiten Scheck nicht auf fünfhundert, sondern wie den anderen auf eintausend Mark aus. Ich brauchte eintausendfünfhundert Mark für die Keilrahmen. Die übrigen fünfhundert waren Cash zum Überleben. Ich löste den Scheck in einer Commerzbankfiliale am Rathausmarkt ein, wo man mir das Geld am Schalter anstandslos auszahlte.
IV
Ich befand mich im Büro von Herrn Schneider in der deutschen Botschaft in Warschau. Seit drei Monaten schon kam ich jetzt regelmäßig hierher. Ich hatte mir mehrfach vorgestellt, die Botschaft zu besetzen, weil die polnischen Behörden meinen deutschen Pass beim Verlängern des Visums eingezogen hatten und ich nicht nach Deutschland zurückkehren konnte. Ich bestand darauf, dass die deutsche Botschaft sich um mich als deutsche Staatsbürgerin kümmerte. Drei Monate zuvor war ich das erste Mal wieder nach Polen gereist. Die unterdrückte Sehnsucht nach Heimat hatte mich eingeholt. Mein polnischer Pass war abgelaufen, und ich hatte ihn an die polnische Botschaft in Bonn geschickt, als Zeichen dafür, dass ich ihn nicht mehr brauchte und auf Polen eher keinen Bock hatte. Das taten fast alle, die die Kurve ins Ausland gekriegt hatten. Seit Jaruzelski am 13 . Dezember 1981 den Kriegszustand ausgerufen und die Solidarność verboten hatte, war Polen endgültig verloren. Es war, als herrschte tatsächlich Krieg: Das Telefonieren nach Polen jedenfalls war unmöglich. Wenn man eine polnische Telefonnummer von Deutschland aus wählte, bekam man eine Automatenstimme zu hören: Die Verbindung mit der Volksrepublik Polen ist zurzeit unterbrochen . Briefpost ging zuerst gar nicht, dann brauchten Briefe, Päckchen und Pakete bis zu sechs Wochen, um beim Empfänger anzukommen. Auf dem Weg dahin wurden alle Sendungen kontrolliert und zensiert. Als die Blockierung der Telefonleitungen nach einem Jahr aufgehoben wurde, musste man trotzdem drei bis vier Stunden lang eine Nummer wählen, ehe eine Verbindung zustande kam. Gespräche wurden selbstverständlich abgehört. Die Versorgung im Lande war
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