Hausverbot
in einem erbärmlichen Sessel. Der Körper reagierte nicht. Ich klopfte noch einmal und dann noch einmal. Ich ging zum Eingangstor, um in das Pförtnerhäuschen zu gelangen. Ein schäbiger Schäferhund sprang plötzlich am Eingangstor hoch und bellte mich an. Ein männlicher Kopf ragte aus dem Fenster des Kabuffs. Eine versoffene Stimme brüllte: Ruhig, Cywil! Wohin? Ich ging zurück zum Fenster. Der Pförtner hatte eine starke Alkoholfahne. Ich redete mit ihm: Wir müssen in die Urologie … Können Sie den Hund da wegsperren? Ich hatte Angst. Der Hund sprang nach wie vor am Tor hoch. Der Pförtner pfiff das Tier ins Kabuff und brüllte noch mal zum Fenster raus: Station siebzehn! Geradeaus, dann zweite Allee links. Er schloss das Fenster und setzte sich wieder zurück in den Sessel. Wir öffneten vorsichtig die Seitentür des Toreingangs. Das Hundegebell war jetzt aus dem Inneren des Pförtnerhäuschens zu hören. Wir passierten schnell das Krankenhausgelände, bevor der Pförtner den Hund wieder rausließ. Wir suchten die Station siebzehn. Nirgendwo gab es Schilder. Wir gingen in ein Haus. In den Fluren wanderten Patienten mit weißgrauen Mullbinden auf den Augen umher. Einige trugen Sonnenbrillen. Sie tasteten die grauen Wände ab, als suchten sie den Ausgang. Ihre Finger hinterließen bräunliche Spuren. Entweder war das hier die Augenheilkunde oder die Psychiatrie. Die Urologie war es jedenfalls nicht.
Nirgendwo sah ich Personal. Überall roch es nach Kot. Mir wurde übel. Ich gab Andrzej ein Zeichen. Wir gingen raus. Eine Putzfrau kam uns entgegen. Ich fragte sie nach Station siebzehn. Sie sagte: Dort kriegt ihr keine Drogen. Sie hielt uns offensichtlich für Junkies. Ich wusste auch, warum. Mein Outfit passte nicht in ihr kleines Weltbild. Sie zeigte uns trotzdem den Weg. Der Eingang war gleich um die Ecke. Da hätte ich auch selber draufkommen können. Die Urologie konnte man von Weitem riechen. Wir gingen rein. Ich hielt mir die Hand vor die Nase. Ich atmete durch den Mund. Die Station war komplett gelb gestrichen. Vor den Toiletten kringelten sich Schlangen aus Patienten. Die männlichen Schlangen waren viel länger als die weiblichen. Ich kannte das immer umgekehrt. Nach einer Theatervorstellung sah man Schlangen höchstens vor den Damenklos. In der Urologie waren die Geschlechterrollen vertauscht.
Andrzejs Katheter wurde entfernt. Die Hoffnung, dass sein Schwanz in Gang kommen würde, steuerte unser anschließendes Handeln. Wir hatten total Bock aufeinander. Ins Hotel konnten wir nicht gehen. Mit unseren westlichen Pässen hätten wir dort den hundertfachen Preis zahlen müssen. Damit waren wir nicht einverstanden. Auch hatten wir nicht das nötige Kleingeld über. Wir waren ja beide nur Studenten. Wir konnten uns gerade einen Ausflug ins Billigland Polen leisten. Wir überlegten, wo wir denn unterkommen könnten. Andrzejs Mutter duldete als Katholikin keinen Sex vor der Ehe. Seit Karol Wojtyła als der erste Slawe in der Geschichte des Vatikans zum Papst gekrönt worden war, flutete eine reaktionäre Sorte von Frauen das Land. Man machte schon Witze über sie. Sie legten sich nackt unter die Fernsehgeräte, wenn der Papst darin predigte. Wojtyłas Gequassel bumste sagenhaft. Bei meinen Eltern wollte ich auf keinen Fall auftauchen. Ich hatte sowieso keinen Kontakt mehr zu ihnen. Sie wussten auch nicht, dass ich wieder da war. Niemand wusste das. Ich hatte niemanden darüber informiert. Und wie geplant bei Arek abzusteigen, dafür war es jetzt zu spät. Mit Andrzej im Schlepptau ging das nicht. Arek stand auf mich. Ich fand den auch süß, bloß war er mir immer schon zu klein gewesen. Asia beteuerte hingegen oft, Arek sei gut im Bett.
Planlos saß ich auf dem Bett neben Andrzej in der urologischen Notaufnahme. Wir hielten Händchen. Andrzej entschied letztendlich: Wir gehen zu meiner Mutter. Sie hat dich heute Morgen gar nicht gesehen. Sie kennt nur deinen Husten. Sie ist fast blind. Ich stelle dich ihr erst mal vor. Abends werden wir die Wohnung verlassen. Wir tun so, als würde ich dich nach Hause bringen. Wir gehen ins ›Spatif‹ oder ins ›Sfinks‹ und kommen nachts wieder. Meine Mutter wird da schon schlafen. Wir müssen einfach nur leise sein. Du darfst eben nicht husten. Das war leicht gesagt. Dann durfte ich nicht kommen. Weil ich nach dem Orgasmus immer hustete.
- Ich schiebe ein Regal vors Bett, damit meine Mutter nicht direkt vor uns steht, falls sie auf die Idee kommen sollte, mich
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