Hausverbot
ausnahmsweise mal morgens wecken zu wollen.
- Und wie komme ich aus deinem Zimmer raus?
- Wenn du aufs Klo musst, lenke ich sie ab. Wie lange bleibst du eigentlich?
- Bis überüberüberübermorgen.
- Nur vier Nächte? Bleib doch wenigstens bis Silvester …
- Geht nicht.
Andrzejs Mutter hatte eine ordentliche Macke. Wegen ihrer Augenschwäche besaß sie einen Behindertenausweis. Deswegen stand ihr die doppelte Menge an Rationierungsmarken zu. Außerdem hatten die Behörden nicht gemerkt, dass Andrzej inzwischen in Deutschland lebte. Deswegen holte die Mutter auch noch Andrzejs Rationen ab. Sie besorgte also die dreifachen Mengen an Zucker, Mehl, Butter, Toilettenpapier und anderem Kram auf Vorrat. Sie verbrauchte kaum was davon. Sie hortete. Ihre ganze Wohnung war ein einziges Warenlager. Alle Ecken waren vollgestopft mit Packungen, Schachteln, Tüten. Zusätzlich war die Mutter paranoid. Sie suchte alle paar Stunden die Bude nach den gehorteten Produkten ab, weil sie angeblich verschwunden waren. Meine Anwesenheit verstärkte ihre Paranoia. Sie kam ständig in Andrzejs Zimmer und tastete alles ab. Wir turtelten ununterbrochen miteinander, aber die Mutter war immer dabei. Diese Zeit war anstrengend, aber sie genügte, um uns mit ausreichend Endorphinen auszustatten. Nach drei Tagen waren wir voneinander abhängig. Ich war derartig in Andrzej verknallt, dass ich mich von ihm auf keinen Fall trennen wollte. Ihm ging es genauso. Es musste was passieren.
Ich fuhr zum Ausländeramt nach Danzig. Ich wollte mein Visum wegen des Scheidungstermins verlängern. Der Ubek kassierte meinen Pass ein. Er verließ den Raum. Ich war total schockiert. Als ich mich erholt hatte, stand ich auf, ging zur Tür und drückte auf die Klinke. Die Tür ließ sich öffnen. Hurra! Ich spazierte raus. Den polnischen Personalausweis ließ ich auf dem Tisch liegen. Mein Standpunkt war, dass ich als deutsche Bürgerin nach Polen eingereist war, und als solche wollte ich auch wieder ausreisen. Das schrieb ich auf das karierte Denunziationspapier. Einige Zeichnungen kamen als Bonus dazu. Der Flur war leer. Ich bewegte mich zum Ausgang. Ich gelangte auf die Straße. Ich kam heile aus der Behörde raus. Mein Herz klopfte. Dabei hatte ich gar nichts verbrochen. Ich zitterte am ganzen Körper. Ich beeilte mich. Ich hielt ein freies Taxi an. Ich stieg ein. Ich fuhr zu Andrzej.
Sein Vater Ryszard feierte Geburtstag. Er lebte in der gleichen Wohnung wie die Mutter, hatte aber ein eigenes Zimmer. Die Eltern waren schon lange getrennt. Sie redeten nicht mehr miteinander. Andrzejs Schwester Anita war mit ihrem vierjährigen Sohn Amor auch da. Amor konnte bereits multiplizieren. Das fand ich nicht normal. Anita sagte, Amor sei hyperintelligent. Ich prostete dem kleinen Amor zu und beglückwünschte ihn zu seiner Mutter Anita, seinem Onkel Andrzej und seinem Opa Ryszard. Amor reagierte nicht. Er war Autist. Ich stieß mit den Erwachsenen an. Wir tranken selbst gebrannten Schnaps, den Ryszard im Badezimmer destillierte. Anita stellte sich als Gynäkologin vor. Da fiel mir ein, dass ich eigentlich längst meine Tage hätte bekommen müssen. Ich ahnte da was. Ich fragte sie nach einem Frauenarzt, bei dem ich mich anonym untersuchen lassen konnte. Ich hatte ja keinen Pass mehr. Sie gab mir eine Adresse. Wir tranken lustig weiter. Hast du während der Schwangerschaft Alkohol getrunken? , wollte ich wissen. Anita lispelte: Eine schwangere Frau soll so viel trinken, wie sie will, bloß betrinken soll sie sich nicht. Sie gestand, aus Liebe aus dem Fenster gesprungen zu sein. Sie sei dabei sogar im fünften Monat schwanger gewesen, hätte aber alles gut überstanden. Nur der Sprachfehler sei ihr geblieben. Sie würde seitdem Stunden beim Logopäden absolvieren. Ich toastete auf Anitas Gesundheit: Na Zdrowie! Mir fiel der Mentalitätsunterschied zwischen den Polen und den Deutschen auf. Wenn in Polen eine Party zu voll war, sprang jemand aus dem Fenster, weil es ihm zu emotional wurde, und die Bullen wurden zur Klärung gerufen. Wenn in Deutschland eine Party zu voll war, wurden die Bullen von den Nachbarn gerufen, weil deren Emotionen durcheinandergewirbelt worden waren. Ich ging ins Badezimmer. Ich steckte mir zwei Finger in den Hals. Ich musste den Schnaps auskotzen. Ich hatte Panik, dass ich betrunken wurde. Ich kam mir dabei sehr deutsch vor.
Drei Monate später betrat ich erneut das Danziger Ausländeramt. Nach einer Stunde bekam ich tatsächlich das
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