Hausverbot
Ausreisevisum. Herr Schneider hatte mich nicht angeschwindelt. Alles war plötzlich völlig unkompliziert. Der graue Ubek, wie die Typen vom Urząd Bezpieczeństwa, vom Amt für Sicherheit, genannt wurden, der mich bei meinem letzten Besuch zum Denunzieren animiert hatte, stempelte mir das Visum in den deutschen Ersatzpass persönlich ein. Er quatschte mich auch nicht darauf an, was ich denn da damals abgeliefert hätte. Schade eigentlich, denn dann hätte ich ihn gefragt, ob ich dieses Zeug haben könnte. Weil es aus lauter Skizzen bestand, die mir viel bedeuteten. Ich war da nämlich zum ersten Mal nach langer Zeit wieder im herkömmlichen Sinne künstlerisch tätig gewesen. Die Klaueskapaden hatten mich anscheinend auf die falsche Spur gebracht. Wenn ich ans Kunstmachen dachte, breitete sich in mir seit geraumer Zeit ein fades Gefühl aus. Ich ging an die HaEfBeKa nur noch, um mich zu immatrikulieren. Ich malte keine Bilder mehr. Meine Kunstproduktion stagnierte. Ich hatte sogar Anflüge von Angst, dass ich keine Künstlerin mehr war. Ich befürchtete, dass ich mich auf dem Weg in künstlerische Impotenz befand. Wobei ich mir einbildete, dass meine Criminal Art doch irgendwann als Kunstrichtung anerkannt werden könnte und ich dann all die geklauten Produkte ausstellen würde. Als ich auf diese Denunziationsblätter zeichnete, kribbelte erneut das Glück in meinem Bauch, das man als Künstler während des Schaffens empfindet. Euphorisiert hatte ich über meinem Werk gehangen und mich an meinem immer noch so unbürgerlichen, so freien Strich ergötzt. Wie genial war das denn! Ich saß im vergitterten Zimmer auf der polnischen Ausländerbehörde, sinnierte über den kalten Krieg und arbeitete an einer neuen Bilderserie. Ich skizzierte die Warenhäuser, in denen ich noch vor Kurzem im Auftrag meiner Adrenalinsucht unterwegs gewesen war. Ich nahm an, dass die westlichen Warenhäuser den Ubek interessierten, weil die von der DeDeEr unterstützten RAF -Terroristen darin hin und wieder eine Bombe hochgehen ließen. DeDeEr, RAF und Kaufhäuser hingen für mich zusammen. Professor Böhmler würde mich da sofort verstehen. Ich wollte ihn auf der Stelle aufsuchen, sobald ich wieder in Hamburg war. Ich zeichnete den Lageplan des Alsterhauses, das nah gelegene Rathaus und die Eingänge zur U-Bahn. Ich dachte über eine neue künstlerische Strategie nach. Mir war auf einmal klar, wo mich das Schicksal hinsteuerte. Das Hirngespinst mit der Criminal Art hatte für mich augenblicklich keinen Sinn mehr. Ich hatte fest vor, endlich die Finger davon zu lassen. Ich fragte mich, warum ich eigentlich die ganze Zeit das osteuropäische Image ablehnte und damit den Start meiner Kunstkarriere behinderte. Ich war ins Ausland emigriert und redete nicht mehr über meine Herkunft. Ich war weder Fisch noch Fleisch. Noch nicht deutsch und nicht mehr polnisch. Nicht mehr Ost, aber noch nicht West. Vermutlich wollte ich nicht so sein wie Jörg Immendorff. Der schwuchtelte allzu gerne mit dem Ostwestthema rum. Wie der sich da bediente, das war mir echt zu flach.
James plauderte ab und zu aus dem Privatleben von Immendorff. Der brauchte einen seiner Assistenten nur fürs Vorlesen der ›Bild‹-Schlagzeilen. Die waren ihm Inspiration genug, um seine Politbilder zu malen. Damit Immendorffs Kunst nachhaltiger und nicht so temporär wirkte, wurde er mit dem ostdeutschen Maler Penck zusammengebracht. Penck hielt Immendorff für einen Spinner und wollte nichts mit ihm zu tun haben. Trotzdem bezeichnete Immendorff den Penck in der Presse dauernd als seinen Künstlerfreund. Dadurch gewann seine ›Café Deutschland‹-Bilderserie über die geteilte deutsche Nation hinaus an politischer Brisanz. Weil er als Wessi eine sympathische Beziehung zu einem Ossi vorgab. Ich hasste ›Café Deutschland‹. Helmut Schmidt und Erich Honecker malten darin gemeinsam die deutsche Fahne an. Blöd. Immendorffs Faust brach aus der Berliner Mauer hervor. Autsch. Die Plumpheit dieser Motive tat weh. Wer sich so was ausdachte, der war nicht ganz helle oder er hatte es anscheinend nötig. Die Öffentlichkeit hielt Immendorff für einen der wichtigsten Maler seiner Zeit, weil er die deutsch-deutsche Geschichte thematisierte. Arg. Die HaEfBeKa beschäftigte ihn als Professor. Uups. Ich lebte in einer verkehrten Welt. Damit wollte ich mich nicht arrangieren.
Ich hielt das Ausreisevisum in den Händen. Ich hatte darum drei Monate lang hartnäckig gekämpft. Ich klopfte mir auf
Weitere Kostenlose Bücher