Hausverbot
Hans, komm schnell, Maniek spinnt wieder! Opa Hans kam in den Flur. Er murmelte sauer: Das kann doch nicht wahr sein. Wir setzten uns alle in die Küche. Meine Mutter schaukelte mich auf ihrem Schoß. Tante Lenia kochte den Tee. Oma Erika pflegte ihre Hände mit Zitronenschalen. Opa Hans ging rüber zu meinem Vater, um ihm die Leviten zu lesen. Ich kuschelte mich bei meiner Mutter an. Ich verarbeitete die Ereignisse von eben. Ich fühlte mich geborgen. Ich wollte nicht nach Hause gehen. Dort war mein Vater. Ich wollte nicht, dass meine Eltern zusammenwohnten. Meine ganze Kindheit lang sehnte ich mich vergebens danach, dass wir bei meinem Vater ausziehen würden. Leider traute sich meine Mutter nicht, diesen Schritt zu tun. Sie erklärte, dass es für mich und meine Geschwister besser sei, überhaupt einen Vater zu haben. Sie sei ohne einen aufgewachsen und deswegen in der Schule gehänselt worden. Faule Ausrede. Sie war einfach zu schwach und hatte Angst vor der Gewalttätigkeit meines Vaters. Er hatte original gedroht, sie und uns umzubringen, wenn wir abgehauen wären. Wahrscheinlich hätte er es tatsächlich getan. Solche kranken Dramen passierten schon im Alten Testament. Die Gesellschaft zwängte die Menschen schon immer in ein Korsett. Die Familie war das kleinste Organ dieser Unterdrückung. Als Kind litt ich darunter sehr. Schon damals schwor ich mir, mein erwachsenes Leben so einzurichten, dass mich niemand jemals terrorisieren würde. Diese Einstellung war eine Kampfansage an alle, James eingeschlossen. Seit dem Wanddurchbruch hielt ich ihn für den deutschen Aggressor, der mein polnisches Territorium angegriffen hatte.
Unser Kind sollte Gina Roman oder Roman Gina heißen, je nachdem, ob es ein Mädchen oder Junge wurde. Es wurde ein Mädchen. Ich beantragte beim Standesamt eine Geburtsurkunde. Roman für ein Mädchen lehnte der Standesbeamte ab. Ich schlug den Vornamen Kuba vor. Mit dem klappte es, obwohl Kuba auch ein männlicher Vorname war. Als Vater wurde nicht James, sondern Anton eingetragen. Ich war nicht lange genug geschieden. Gina Kuba erhielt auch Antons Nachnamen. Bescheuert und beleidigend. Ich fasste es nicht. Der Standesbeamte berief sich auf ein Gesetz aus dem Jahr 1848 , das in der Aufklärungszeit zum Schutze der ehelichen Kinder eingeführt wurde. Er riet mir, mein Exmann sollte die Vaterschaft ablehnen. Um dies zu erreichen, sollte ich ihn wegen der Alimente verklagen. Anschließend sollte ich ein serologisches Gutachten erstellen lassen. Das Verfahren sollte drei Jahre dauern und fünftausend Mark kosten. Damit die Behörden die Kosten übernahmen, sollte ich das Jugendamt zum Vormund des Kindes ernennen und dort auch die Lebensunterhaltskosten für das Kind beantragen. Oha. Ich kapierte allmählich. Deutschland war sinnlos bürokratisch, finanzierte aber auch jedes Problem. Deswegen freute sich James ja so sehr auf die Familiengründung. Ich riss dem Standesbeamten die Geburtsurkunde aus der Hand. Ich kochte. Ich war kurz davor, den Typen zu vermöbeln. Ich rannte wütend raus. Ich ließ die Türen offen. Ich hatte keine Zeit, zu diskutieren. Ich musste mich beeilen. Ich hatte gleich einen Job als Ausstellungsaufsicht in der Börse. James wartete dort auf mich mit dem schreienden Baby. Es musste gestillt werden. Ich drückte Gina Kuba an die Brust. Sie wurde sofort ruhig, saugte ein paar Schlucke und schlief ein.
Ich schaute sie mir zum ersten Mal sehr genau an. Sie war gerade zwei Wochen alt. Sie sah aus wie mein Vater. Ich hatte große Sorgen, wie mein Leben demnächst verlaufen sollte. Ich passte auf eine Ausstellung auf, statt selber eine zu haben. James war wie immer ohne Arbeit. Ich überlegte, wie ich an Kohle rankommen könnte. So ein Künstlerleben mit Kind und Kegel kostete ganz schön. Außerdem machte mir das serologische Gutachten Kummer. Ich war mir wirklich nicht sicher, ob James der Vater von Gina war. Jedenfalls hatte sie mit ihm keine Ähnlichkeiten. Ich setzte mich in den Börsenraum an den Aufsichtstisch mit Telefonapparat und gestapelten Ausstellungsbroschüren. Ab und an nahm eine Hand eine der Broschüren mit. Ich überlegte, mit wem ich gleich telefonieren würde. Ich hatte vier Stunden rumzukriegen. Ich wiegte mein schlafendes Baby in den Armen. Ich schaute auf die Decke. Sie war bestimmt zwanzig Meter hoch. Wahnsinn. Ich liebte hohe Decken. Sie gaben mir das Gefühl, dass das Leben nicht immer piefig sein musste. Mich zog vornehme Architektur seit jeher an.
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