Haut aus Seide
für eine Heuchlerin. Vielleicht war sie das ja auch. So zu tun, als hätte ihr die letzte Nacht nicht gefallen, war wohl unmöglich. Wie konnte sie Lela verurteilen, und wenn sie mit so vielen Frauen schlief, wie sie nur wollte? Doch die Tatsache, dass Lela noch nie von derartigen Erlebnissen berichtet, sie also vor ihr geheim gehalten hatte, verschaffte
Béatrix plötzlich das Gefühl, die Freundin im Grunde gar nicht wirklich zu kennen.
»Weißt du …«, Lela streckte die Hände aus und strich Bea über die Schulter, »das war eine einmalige Sache. Wir sollten es als Erfahrung verbuchen und dann hinter uns lassen.«
Bea brachte nicht mehr als ein Nicken zustande, doch Lela schien es zu reichen. Sie gab ihr einen freundschaftlichen Klaps auf die Schulter.
»Gut«, meinte sie. »Und jetzt erklär mir bitte ganz ausführlich, wie man eine schicke Boutique leitet.«
Dieser Themenwechsel aber trug gewiss nicht dazu bei, Béatrix fröhlicher zu stimmen.
Fünf
Auch wenn Andrew gesagt hatte, dass er sie unbedingt wiedersehen wollte – so früh hatte Béatrix nicht mit seinem Anruf gerechnet. Ihr Herz tat einen Satz, als sie seine Stimme hörte. Nicht unbedingt einen so heftigen Satz wie bei Philip, aber eben doch spürbar.
Die beiden verabredeten sich in einem Café in der Nähe der Jardins du Trocadéro. Béatrix war als Erste dort, ergatterte einen Tisch auf dem Bürgersteig und bestellte Kaffee. Der Treffpunkt hätte nicht schöner sein können. Man hatte einen ausgezeichneten Blick auf den Eiffelturm, und auch wenn die Bäume die Sicht auf die großen, sprühenden Wasserkanonen versperrten, so konnte sie den berühmten Trocadéro-Brunnen doch wenigstens hören.
Alles in allem war sie sehr zufrieden mit sich selbst. Den Morgen hatte sie damit verbracht, Kostüme im Musée de la Mode abzuzeichnen. Dumm nur, dass sie keine bequemen Schuhe angezogen hatte. Es war albern gewesen, sich für Andrew zurechtzumachen. Schließlich war er nicht ihr Freund und würde es auch niemals sein. Andrew war nur ein Flirt, dessen Reißverschluss einen Sicherungshaken brauchte. Gleichzeitig wusste sie allerdings auch, dass er ihre Bemühungen bemerken würde. Mit diesem Gedanken im Hinterkopf hatte sie sich für ein hübsches fliederfarbenes Blumenkleid entschieden.
Das dazu passende Bolero-Jäckchen war himmelschreiend kurz und für ein Mädchen wie sie wahrscheinlich ein bisschen zart, aber sie fühlte sich einfach großartig darin. Béatrix hatte es noch am selben Tag gekauft, als es bei Meilleurs Amis ins Sortiment genommen wurde. Die von Hand aufgenähten Perlschnüre waren hinreißend – blättrige Schwünge, die sich wie Wein um die Enden rankten. Meilleurs Amis hatte eine Vereinbarung mit dem Hersteller, die garantierte, dass kein Kleidungsstück genau wie das andere war. Also war sie die Einzige auf der Welt, die solch ein Jäckchen besaß.
Mit reuigem Lächeln strich die junge Frau über die winzigen Perlen am Rand des Ärmels. Die Exklusivität gefiel ihr. Vielleicht war sie ihrer Mutter ja doch ähnlicher, als sie glaubte.
Plötzlich streckte sich ein blonder Kopf unter den Schirm, der ihr Schatten spendete.
»Hallo, hallo«, begrüßte Andrew sie gut gelaunt. Bevor er seinen langen, schlanken Körper in den Stuhl ihr gegenüber zwängte, gab er ihr einen schnellen Kuss auf beide Wangen und einen etwas längeren auf den Mund. »Du siehst großartig aus! Bin ich zu spät?«
»Überhaupt nicht«, erwiderte Bea, obwohl er tatsächlich ein wenig über der vereinbarten Zeit war. Sie klopfte auf das Skizzenbuch, das sie bei sich trug. »Ich bin früher fertig geworden, als ich dachte.«
Seine Augen weiteten sich in übertriebener Neugier. »Ich sag dir was. Du zeigst mir deins, dann zeig ich dir meins.«
»Du hast das Parfüm?«
»Proben zumindest.« Er zog sie aus seiner Aktentasche. »Hier. Gib mir mal dein Handgelenk. Ich möchte es gern auf der Haut einer echten Frau riechen.«
»Gibt es denn in der Provence keine echten Frauen?«
Er wedelte auf ihre Scherzfrage nur stumm verneinend mit dem Zeigefinger und besprühte dann die Innenseite ihres Armes mit einem süßen Duft, der nach Zitronen, Zimt und einem Hauch von Vanille roch.
»Lecker«, entfuhr es ihr. »Riecht, als wolle man es am liebsten essen.«
Andrew strahlte sie an. »Das ist mein Lieblingsparfüm. Ich habe noch drei weitere Düfte für meinen Auftraggeber, aber den hier wollte ich unbedingt an dir riechen.« Er hob ihren Arm, beugte sich vor und
Weitere Kostenlose Bücher