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Haut, so weiß wie Schnee

Haut, so weiß wie Schnee

Titel: Haut, so weiß wie Schnee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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Handbewegung in Richtung Treppenhaus.
    »Bist du verrückt?«, fragte Klara entgeistert. Dann befahl sie: »Los, hinterher! Hol deinen Schlüssel! Mach schon!«
    Unten auf dem Bürgersteig fragte sie: »Ist er das?« Ein paar Meter weiter stieg ein Mann gerade in ein parkendes Auto. »Ja«, sagte Jette und die beiden rannten los. Doch bevor sie ihn erreichten, fuhr der Mann weg. »Verdammt, zu spät«, sagte Klara. »Der hatte einen Mietwagen.«
    »Wir passen ihn vorne ab«, sagte Jette. »Wo man auf die Hauptstraße kommt.« Klara verstand. Aus Jettes Wohnviertel führte nur ein einziger Weg zur Hauptstraße, und dieser auch nicht direkt, sondern wegen verschiedener Einbahnstraßen über einen Umweg. Man brauchte eine Weile, bis man mit dem Auto draußen war.
    »Kannst du mir mal sagen«, fragte Klara im Laufen, »warum du dir von wildfremden Leuten Blut abnehmen lässt?«
    »Er hatte einen Ausweis«, rechtfertigte sich Jette. »Außerdem hab ich beim Roten Kreuz angerufen, und die sagten, dass er ehrenamtlich für sie arbeite.«
    »Versteh ich nicht«, sagte Klara.
    »Ich fand den Typ auch komisch.«
    »Und wieso hast du ihn dann überhaupt reingelassen?«
    »Hm«, machte Jette und schnappte nach Luft. »Es war ja nur so ein Gefühl von mir. Ich meine, wenn die wirklich einen Knochenmarkspender suchen, muss man doch helfen.«
    »Du solltest vorsichtiger sein.«
    »Als der bei uns im Wohnzimmer stand, hab ich …« Jette zögerte. »… so eine Grausamkeit an ihm gespürt. Ich hab ihn gefragt, ob er auch Lebendiges aus dem Weg räumt.«
    »Du hast was?« Klara wirkte nun wirklich beunruhigt.
    »Na ja, also nicht direkt, nur so durch die Blume. Er ist Gärtner.«
    »Pass bitte besser auf dich auf.«
    »Du redest ja wie meine Mutter«, sagte Jette japsend.
    »Und wenn schon.«
    »Du weißt doch: Ich hab in Drachenblut gebadet.«
    »Bleib doch mal ernst, Jette.«
    »Da ist er«, keuchte Jette auf einmal und zeigte auf einen Mietwagen, der sich langsam näherte. Sie waren keine Sekunde zu früh. »Und jetzt?«
    »Du holst dir dein Blut zurück«, sagte Klara.
    »Und wie bitte?«, fragte Jette.
    Der Wagen war nur noch ein paar Meter entfernt. Jette und Klara duckten sich hinter einem parkenden Auto. Eine Mutter mit einem Kinderwagen drängte sich an ihnen vorbei. Die Frau hatte das weinende Baby auf dem Arm und schob mit der freien Hand den Wagen. Plötzlich stand Klara auf, sagte: »Darf ich mal?«, und schubste den Kinderwagen direkt vor den heranrollenden Mietwagen. Der Fahrer bremste scharf, hatte aber keine Chance. Das Auto erfasste den Kinderwagen und schleuderte ihn zur Seite. Dort blieb er verbogen liegen. Der Fahrer stürzte aus dem Auto und eilte zu dem kaputten Kinderwagen. »Ich lenk ihn ab«, flüsterte Klara. »Hol du das Blut.«
    Jette kroch hinter den parkenden Autos den Bürgersteig entlang, bis sie sich auf der Rückseite des Mietwagens befand. Sie hörte Klara den Mann anbrüllen, er solle doch besser aufpassen. Jette ging von hinten auf das Auto zu, sah die Arzttasche auf dem Rücksitz liegen, öffnete leise die Tür, griff die Tasche und schlenderte davon. Sie hörte den Mann noch zu Klara sagen: »Dich hab ich doch eben schon mal gesehen …«, dann war sie um die Ecke verschwunden.
    Jette rannte los. Hin und wieder schaute sie sich um, aber niemand folgte ihr. Völlig außer Atem bog sie in eine Hauseinfahrt ein. Wo sollte sie überhaupt hinlaufen? Nach Hause? Und wenn der Mann zurückkam? Zur Polizei? Die einzige Dienststelle, die sie kannte, lag genau in der Richtung,aus der sie gerade kam. Womöglich lief sie dem Betrüger so direkt in die Arme. Jette entschied sich, zu Klara zu gehen. Das war die Richtung, in die sie gerade lief, und Klara würde sicher auch gleich dort vorbeikommen. Bevor Jette weiterging, öffnete sie die Arzttasche und schaute nach, ob die Blutprobe auch da war. Ja, dort lag eine mit ihrem Namen beschriftete Probe. Sie nahm sie heraus und hielt sie unschlüssig in der Hand. Dann stopfte sie sie in ihren rechten Strumpf und zog ihn bis zum Knie hoch. Das Gummiband saß fest und schnitt unter ihrer Kniekehle in die Haut ein. Wie gut, dass sie am Morgen nur Kniestrümpfe gefunden hatte.
    Sie ging zur Straße zurück und spähte vorsichtig um die Hausecke. Verdammt, der Mann stand etwa hundert Meter entfernt auf dem Bürgersteig und suchte mit den Augen die Straße ab. Jette war sich nicht sicher, ob er sie gesehen hatte. Wenn ja, saß sie hier in der Einfahrt in der Falle. Sie

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