Haut, so weiß wie Schnee
abzunehmen?«, fragte Jette.
»Ich war früher Krankenpfleger«, sagte der Mann.
»Und heute?«
»Gärtner.«
Jette schaute zu, wie er mit dem Daumen nach einer geeigneten Vene tastete. Es war ein sehr sauberer Daumen mit einem sorgfältig geschnittenen Nagel. Ohne Dreckrand. Und das als Gärtner, dachte Jette.
»Ein schöner Beruf«, sagte Jette laut. »Setzlinge ziehen, Blüten abstützen, Erdbeeren ernten. Aber wahrscheinlich gibt es auch schwere Arbeiten, Beete ausheben, Erde aufschütten und so weiter?«
»So ist es«, antwortete der Mann.
»Für jemanden, der sich die Hände nicht schmutzig machen möchte, ist das sicher nichts.«
»Das stimmt …«, sagte der Mann. Er hielt inne und sagte dann: »Ich habe zum Glück viele Mitarbeiter.«
»Wie schön für Sie«, sagte Jette.
»Ich lege jetzt den Schlauch an.« Er beugte sich über sie. Sein Jackett streifte ihr Gesicht. Jette roch Seife und frischen Schweiß. Sie blickte von unten in sein angespanntes Gesicht. »Wenn Sie jetzt bitte einen Augenblick warten«, sagte er und trat wieder zurück.
»Was muss man denn mitbringen, wenn man Gärtner werden will?«, fragte Jette.
Der Mann wirkte etwas irritiert angesichts ihres anhaltenden Interesses an seinem Beruf. »Liebe zu Pflanzen, Geduld, Fleiß, Geschick«, erklärte er.
»Wahrscheinlich darf man auch nicht zimperlich sein?«
»Da haben Sie recht«, sagte er. »Holz hacken, Teiche ausheben, Kies aufschütten, gehört alles dazu.«
»Und Sie müssen alles aus dem Weg räumen, was stört.«
»Steine, Wurzeln, Gestrüpp, natürlich.«
»Auch Lebendiges?« Wieso fragte sie das? Irgendwie fühlte sie sich von dem Mann provoziert.
Er antwortete nicht. Seine Augen blickten kalt.
»Zum Beispiel Schnecken?«, fuhr Jette plaudernd fort. »Wie machen Sie es? Schnipp, schnapp?« Sie machte mit den Fingern ihrer freien Hand eine Schnittbewegung.
»Wir streuen biologische Schneckenmittel aus«, sagte er ruhig.
Wim Tanner desinfizierte die Einstichstelle und setzte die Spritze an. Als er zustach, zuckte das Mädchen kurz zusammen. Sie saß kerzengerade in ihrem Sessel und blickte in sein Gesicht. Was sollten die ganzen Fragen? Ob sie etwas ahnte? Auf jeden Fall beobachtete sie ihn. Aber die Umleitung des Telefons hatte perfekt geklappt.
Aus Jettes Vene tropfte dunkles Blut und füllte die Spritze. Als der Blutfluss etwas abebbte, lockerte Wim Tanner den Schlauch. Sofort schwoll der Strom wieder an. Das Mädchen war ihm ausgeliefert, dachte er. Wie sie so dasaß und an seiner Nadel hing. Wenn sie sich jetzt bewegte, täte es ihr weh. Die Vorstellung gefiel ihm. Er schaute sie an, um seine Überlegenheit auszukosten, schrak aber sofort zurück. In ihrem Gesicht spiegelte sich glühender Stolz. Diese Jette Lindner saß in ihrem Sessel, als wäre sie die Königin von Saba und er allenfalls ein Liebesdiener. Und dabei könnte er sie, hier und jetzt, einfach aussaugen. Anderthalb Liter würde sie entbehren können. Mehr nicht. Danach hätte ihr Körper nicht mehr genug Blut, um alle Zellen mit Sauerstoffzu versorgen. In diesem Augenblick hob sie ihren Kopf noch etwas weiter in die Höhe, was eigentlich kaum noch möglich war, und sah ihm in die Augen. Wim Tanner wurde langsam wütend, aber er war Profi. Gefühle hatten bei der Arbeit nichts zu suchen. Er konzentrierte sich wieder auf das Blutabnehmen.
»Drücken Sie noch eine Weile auf das Pflaster«, sagte der Mann vom Roten Kreuz, »dann gibt es keinen Bluterguss.«
»Okay«, sagte Jette.
Der Mann beschriftete die Blutprobe und packte dann seine Sachen.
»Vielen Dank«, sagte er.
»Keine Ursache. Wenn es hilft …«, antwortete Jette. »Wie geht es denn jetzt weiter?«
»Wir melden uns, falls Sie als Spenderin infrage kommen.«
Jette begleitete den Mann zur Tür und öffnete sie. Fast gleichzeitig klingelte es. Klara schien endlich zu kommen. »Auf Wiedersehen«, sagte Jette. Der Mann nickte ihr zu und ging schnell die Treppe hinunter. Als Klara an ihm vorbeikam, blickte er nicht auf.
Klaras Blick fiel als Erstes auf das Faltblatt mit dem lachenden Mädchen, das auf der Konsole im Flur lag.
»Das ist nicht echt«, sagte Klara.
Jette zog fragend ihre Augenbrauen hoch.
»Meine Schwester wollte ihr Blut untersuchen lassen und hat beim Roten Kreuz angerufen. Die wussten nichts davon. Die haben damit nichts zu tun. Das müssen Betrüger sein.«
»Komisch«, sagte Jette, »ich habe mir gerade von dem Mann Blut abnehmen lassen.« Sie machte eine
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