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Haut, so weiß wie Schnee

Haut, so weiß wie Schnee

Titel: Haut, so weiß wie Schnee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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    Er setzte sich wieder an den Tisch. Was wusste er alles über das Mädchen? Sie war als Baby adoptiert worden und musste etwa fünfzehn Jahre alt sein. Und das Mädchen war offenbar in dem Krankenhaus geboren worden, in dem Dr. Saalfeld und Wim Tanner früher gearbeitet hatten. Das Krankenhaus befand sich hier in der Stadt. Außerdem war das Mädchen ein dunkler Typ. Und hübsch. Ihr besonderes Merkmal war ein Leberfleck auf der Wange. So hatten sie es beschrieben. Jonah tippte wieder die Nummer der Auskunft ein und ließ sich mit dem Jugendamt verbinden. Dort verlangte er die Adoptionsstelle. Der Hörer an der Nebenstelle wurde sofort abgenommen.
    »Wölflin, Adoptionsvermittlung, guten Tag.« Eine Frau.
    »Ääh …«, stotterte Jonah, »… guten Tag.«
    »Mit wem spreche ich bitte?«
    »Jonah Mint.«
    »Was kann ich für Sie tun?« Die Frau klang routiniert, aber nicht unfreundlich.
    Jonah hatte es die Sprache verschlagen.
    »Sind Sie noch dran?«
    »Ja«, sagte Jonah. »Ich suche ein Mädchen.« Wie blöd das klang, dachte er. »Ich suche ein Mädchen, das vor fünfzehn Jahren adoptiert wurde«, fügte er schnell hinzu.
    »Sind Sie ein Verwandter?«, fragte die Frau.
    »Nein.«
    »Dann können wir leider keine Auskunft geben.«
    »Hm«, machte Jonah.
    Die Frau in der Leitung wartete.
    »Tja, dann …«, sagte Jonah, »…auf Wiedersehen«, und legte auf. Völlig regungslos blieb er am Tisch sitzen. Um ihn herum war es dunkel wie immer. Er haute mit der Faust auf das schwere Holz. Und gleich noch einmal. Seine Hand schmerzte. Blind und blöd, dachte er. Er rief noch einmal an.
    »Wölflin, Adoptionsvermittlung, guten Tag.«
    Ohne Überleitung sagte er: »Es ist wichtig.«
    »Warum wollen Sie das Mädchen denn finden?«, fragte die Frau.
    »Sie ist in Gefahr.«
    »Dann gehen Sie am besten zur Polizei.«
    »Das geht nicht.«
    Die Frau überlegte. Dann sagte sie: »Vielleicht könnte ich einen Brief von Ihnen weiterleiten. Wie heißt das Mädchen denn?«
    »Lina Sandwey. Das ist ihr Geburtsname. Wie sie heute heißt, weiß ich nicht.«
    »Einen Moment, ich schaue nach.« Die Frau legte den Hörer zur Seite, und Jonah hörte sie auf eine Tastatur tippen. Es dauerte eine Weile, bis sie sich wieder meldete.
    »Tut mir leid, aber ein Mädchen mit diesem Namen haben wir nicht vermittelt.«
    »Sind Sie sicher?«
    »Ja. Ich kann das sehen. Die ganzen alten Akten wurden vor ein paar Jahren digital erfasst. Jetzt ist alles im Computer. Ich hab ihren Namen eingegeben. Da kommt nichts.«
    »Aber sie ist hier in der Stadt geboren worden und wurde als Baby adoptiert.«
    »Vielleicht kamen die Eltern aus einer anderen Stadt. Dann werden die Kinder von den dortigen Jugendämtern erfasst. Oder sie wurde vielleicht gar nicht adoptiert, sondernkam erst mal als Pflegekind in eine Familie. Dann ist das auch nicht bei uns erfasst. Und manchmal, es kommt nicht oft vor, aber …«
    »… Sie meinen, es können auch Daten verloren gehen?«
    »Na ja.«
    »Also, danke für Ihre Mühe«, sagte Jonah und legte auf. Er wusste nicht mehr weiter. Er nahm sich einen Apfel aus der Obstschale, ließ seine Hände über die glatte Schale gleiten und biss hinein. Sofort verzog er das Gesicht. Das musste einer dieser neuen Weirouge-Äpfel sein, die sein Vater mitgebracht hatte. Sie waren wahnsinnig sauer. Karminrot seien die Äpfel, hatte sein Vater geschwärmt. Das war Jonah völlig egal, er konnte die Farbe ja ohnehin nicht sehen. Er aß den Apfel auf und hatte immer noch keine Idee. Sollte er zur Polizei gehen? Aber was konnte er den Beamten sagen? Die Bänder waren längst überspielt. Und Dukie würde verstockt schweigen. Passiert war bislang auch nichts. Das einzige Ergebnis wäre, dass Dr. Saalfeld herausfinden würde, dass er ihn angezeigt hatte. Und dann konnten er und seine Eltern ihre Sachen packen. Dem Mädchen würde das nicht helfen.
    »Jonah!?« Das war sein Vater. »Wo bist du denn?« Er kam in die Küche gerannt. »Ich hab dich schon im ganzen Haus gesucht. Du musst zum Arzt.«
    »Hatte ich ganz vergessen«, sagte Jonah. »’tschuldigung.«
    »Ich hol das Auto«, sagte sein Vater. »Geh du schon mal raus.«
    Draußen war es warm. Ein schöner Junitag. In der Ferne hörte Jonah einen Laster rangieren. Dr. Saalfeld baute auf einem angrenzenden Acker ein riesiges Gewächshaus. Es sollte ein Tropenhaus werden. Der Junge setzte sich auf die Stufen und wartete.
    »Hi, Jonah.« Das war Carmens Stimme. »Ich hab was für dich.« Sie

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