Haut, so weiß wie Schnee
berührte leicht seine Hand, öffnete sie und legte etwas hinein.
»Eine Kastanie«, sagte Jonah überrascht.
»War in meinem Mantel.«
»Es gibt doch jetzt gar keine Kastanien.«
»Die ist von letztem Jahr. Ganz verschrumpelt und leicht. Lustig, nicht?« Carmen lachte. »Die bringt Glück!«
Man sollte Carmen nicht alles glauben, was sie sagte, dachte Jonah und grinste. Wahrscheinlich beulte die Kastanie ihre Manteltasche aus, und sie wollte sie loswerden. Aber abergläubisch, wie sie war, getraute sie sich nicht, sie wegzuwerfen. »Danke!«, rief er ihr hinterher. Aber Carmen war längst verschwunden. Jonah blinzelte in die Sonne. Wie sollte er diese Lina Sandwey bloß finden?
Sein Vater fuhr vor. »Steig ein!«
Jonah setzte sich auf den Vordersitz und schnallte sich an.
»Was hast du denn unten in der Wohnung gemacht?«
»Nichts.«
»Aha.«
Im Radio lief »Hit the Road, Jack«. Nerviger Song, dachte Jonah. Aber er summte trotzdem mit.
»Gut gelaunt?«
»Nein.«
»Klingt aber so.«
»Ist aber nicht so.«
Sein Vater gab ihm einen leichten Klaps auf den Hinterkopf. »Was ist denn los?«
»Nichts«, sagte Jonah und fügte in Gedanken hinzu: Und das ist das Problem.
»Aha, verstehe.«
Jonah spürte, dass sein Vater ihn anschaute, und sagte: »Papa, guck nach vorne.«
Die Straßen waren voll. Berufsverkehr. Jonahs Vater stöhnte. Sie waren viel zu spät dran. Er überholte zweimal und versuchte die ein oder andere Ampel noch mitzunehmen. »Ist doch egal, wenn wir zu spät sind«, sagte Jonah.
Plötzlich schrie sein Vater: »Festhalten!«, und Jonah wurde nach vorn in den Sicherheitsgurt geschleudert. Sein Vater bremste scharf. Das Auto scherte aus und kam ins Schleudern. Jonah stützte sich mit den Händen am Armaturenbrett ab. Ein harter Ruck, und das Auto stand. Hinter ihnen quietschten Reifen. Aber es folgte kein Aufprall.
»Alles okay?«, fragte sein Vater besorgt.
Jonah nickte. Sein verletzter Daumen tat wieder weh. Er hatte sich auf ihm abgestützt. Und der Sicherheitsgurt hatte in seine Haut geschnitten.
Sein Vater stieg aus. »Was soll das denn?«, hörte Jonah ihn brüllen. »Bist du völlig verrückt? Wegen ein paar Enten? Ich hätte dich fast überfahren! Scheiße! Das hier ist eine Straße…« Jonah hörte niemanden antworten. Sein Vater brüllte immer weiter.
Schließlich kurbelte Jonah das Fenster hinunter und rief: »Papa, komm jetzt!«
»Nur ein paar Meter weiter ist eine Ampel«, schrie sein Vater wütend. »Da kann man prima über die Straße gehen!«
»Papa!!!«
Endlich ging die Fahrertür auf, und sein Vater ließ sich schwer seufzend in den Sitz fallen. Er ließ den Wagen an und fuhr los. Ein paar Minuten sagte keiner von ihnen etwas.
»Da hat ein Mädchen tatsächlich eine Ente mit ihrem Küken über die Straße geführt«, erklärte sein Vater schließlich und betonte dabei jedes Wort. »Nicht zu fassen. Sie sagte, sie sei gerade hier vorbeigekommen und habe die Tiere auf der Straße gesehen. Da habe sie schnell helfen müssen. Die seien ja sonst überfahren worden! Und dass ja alles gut gegangensei, aber jetzt müsse sie schnell weiter, Süßigkeiten kaufen.« Nach einer Weile fügte Jonahs Vater noch hinzu: »Die tat, als ob sie unsterblich wäre. Und hübsch war sie. Dunkle Haare. Helle Haut.«
Ja, dachte Jonah, genau so ein Mädchen suche ich.
»Irgendwoher kenne ich die«, sagte sein Vater.
Jonah hörte nicht genau zu. Diese Lina Sandwey spukte weiter in seinem Kopf herum.
»Jetzt weiß ich’s!«, sagte sein Vater triumphierend.
Ich wüsste auch gern, wo sie steckt, dachte Jonah.
»Sie stand im Fernsehen neben Wim Tanner, als der sich im Stadion ausgezogen hat«, sagte sein Vater und schien mit dieser Erkenntnis sehr zufrieden.
»Wahrscheinlich hatte sie auch noch einen Leberfleck auf der Wange«, murmelte Jonah sarkastisch, dem nicht ganz klar war, was sein Vater da gerade gesagt hatte.
»Stimmt«, sagte sein Vater überrascht.
»Papa!«, schrie Jonah plötzlich. »Du musst sofort zurückfahren!« Fast hätte er seinem Vater ins Lenkrad gegriffen. »Ich muss sie unbedingt finden!«
An der nächsten Ampel wendete sein Vater. Er fuhr den Streckenabschnitt zweimal in jede Richtung ab. Auf Bitten Jonahs bog er auch noch in einige Nebenstraßen ein.
Aber vergebens.
Das Mädchen war weg.
Ein Baum, ein Schild und ein Junge
Drei Tage später ging Jette wieder zum Kiosk. Sie brauchte unbedingt etwas Nervennahrung, denn sie musste noch Chemie lernen. Jeden
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