Haut, so weiß wie Schnee
und seine schnellen, klaren Entscheidungen. Jahrelang war er auf einer Welle des Erfolgs geschwommen. Aber jetzt ging es mit der Stayermed-Aktie bergab. Und Besserung war nicht in Sicht. Ganz im Gegenteil: Gestern hatte ihn ein alter Jagdfreund angerufen. Er arbeitete inzwischen bei der Investmentfirma, die bei Stayermed Großaktionär war, und hatte ihm gesteckt, dass die Investmentfirma in Kürze einenGroßteil der Aktien verkaufen würde. Man gehe von weiter fallenden Kursen aus und hoffe darauf, noch ohne großen Verlust aussteigen zu können. Das bedeutete für die Stayermed-Aktie, dass sie noch stärker unter Druck geraten würde.
Saalfeld blickte auf die Uhr. 9.10 Uhr. Irgendetwas war hier richtig faul. Normalerweise servierte die Küche pünktlich um 9.00 Uhr geschältes Obst. Aber heute nichts dergleichen. Kai Saalfeld ging zurück ins Vorzimmer, um an dem bereits eingeschalteten Computer den Aktienkurs von Stayermed abzurufen. In der Ecke des Sekretariats standen immer noch die zwei gelben Postkörbe, in denen die Sekretärin die Bewerbungen für den Schönheitswettbewerb sammelte. Obwohl die Frist längst abgelaufen war, gingen täglich immer noch Dutzende von Bewerbungen ein. Er hatte dem Eventteam den Brief von Jette Lindner bereits mit der Notiz zukommen lassen, dass es sich hierbei um die Gewinnerin handelte.
»Scheiße!«, fluchte Kai Saalfeld, als die Zahlen auf dem Computerbildschirm erschienen. Er ließ sich auf den Stuhl seiner Sekretärin sinken. Der Kurs war natürlich weiter gefallen. Kai Saalfeld fühlte sich plötzlich wie sein eigener Gefangener. Noch vor wenigen Monaten hatte er seinen Job genossen. Beflissene Mitarbeiter und Geld bis zum Abwinken. Was wollte man mehr? Aber das hier machte keinen Spaß mehr. Seine Aufgabe als Vorstandschef war es, die Aktie auf Wachstumskurs zu halten. Wenn die Aktie stieg, wurden die Anleger reicher, und darum ging es. Gelang ihm das nicht, hatte er unweigerlich irgendwann Dr. Berger, den Chef des Aufsichtsrates, am Telefon, der sich bitter beschwerte. Und in letzter Zeit häuften sich die Anrufe.
Eine Reinemachefrau hatte es mit gut sichtbarem Dreck zu tun, den sie wegfegen oder aufwischen konnte. Die Wissenschaftler im Haus suchten für klar benannte Krankheitenneue Medikamente. Nur er hing bei dem, was er leisten sollte, völlig in der Luft. Der Aktienkurs war unberechenbar. Mal stieg er, mal fiel er, dann wieder stagnierte er wochenlang. Gut, die Konkurrenz hatte ein paarmal die Nase vorn gehabt. Aber in der letzten Zeit liefen die Geschäfte wieder rund. Und dennoch zeigte der Kurs weiter nach unten. Es war wie verhext. Diese Aktien machten, was sie wollten.
Saalfeld erhob sich mühsam aus dem Stuhl. Keine Sekunde zu früh, denn in diesem Moment ging die Tür auf und Frau Menzel erschien im Türrahmen. Die Sekretärin sah elegant wie immer aus. Sie trug ein schwarzes Kostüm mit einem weit ausgeschnittenen weißen Top. Ihr blondes Haar hob sich leuchtend von der dunklen Kleidung ab. Um den Hals hatte sie eine Silberkette mit weißgoldenem Anhänger gelegt. Obwohl bereits Mitte vierzig, galt sie als eine der attraktivsten Frauen im Haus.
Frau Menzel war Dr. Saalfelds wichtigste Mitarbeiterin. Sie verfügte über das mit Abstand beste hausinterne Netzwerk. Es bestand in einem gegenseitigen Geben und Nehmen von Informationen und erstreckte sich bis in den letzten Unternehmenswinkel. Nichts, was im Haus passierte, blieb ihr verborgen. Ihr Wissen stellte sie loyal ihrem jeweiligen Chef zur Verfügung. Bei Stayermed galt das ungeschriebene Gesetz, dass, wer immer Vorstandschef wurde, damit auch Anspruch auf Frau Menzel hatte. Und jetzt arbeitete Frau Menzel für ihn. Als Saalfeld das einmal mehr realisierte, hellte sich seine Laune etwas auf.
»Guten Morgen, Herr Dr. Saalfeld«, sagte Frau Menzel und zog die Mundwinkel zu einem Lächeln nach oben. Aber das war eindeutig nicht das strahlende Menzel-Lächeln, das die Sekretärin ihrem Chef sonst immer schenkte. Kai Saalfeld war sich jetzt sicher, irgendetwas stimmte nicht. »Heute Nachmittag soll es Gewitter geben«, sagte Frau Menzel undbegann, an ihrem Schreibtisch die Post zu öffnen. Ohne die Sekretärin noch eines Blickes zu würdigen, ging Kai Saalfeld in sein Büro und ließ die Tür laut hinter sich ins Schloss fallen. Frau Menzel hatte es nicht einmal für nötig befunden, sich für ihre Abwesenheit zu entschuldigen.
Kai Saalfeld hatte sich gerade entschlossen, erst einmal auf die Toilette zu
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