Haut, so weiß wie Schnee
gehen, als sein Telefon blinkte. Bereits im Stehen hob er ab.
»Herr Dr. Saalfeld«, sagte Frau Menzel mit ihrer wohlmodulierten Stimme, »Herr Dr. Berger möchte Sie sprechen.«
Der Aufsichtsratsvorsitzende hielt ihn jetzt also schon vom Pinkeln ab. »Stellen Sie durch«, sagte er barsch.
»Er ist daha.«
»Hier?«
»Jaha.«
»Soll reinkommen!«, fauchte Saalfeld.
Die Tür flog auf, und im Türrahmen erschienen wuchtige ein Meter neunzig auf hundertdreißig Kilogramm Lebendmasse. Dr. Rüdiger Berger lächelte feist in den Raum und schwenkte sein Gewicht in Richtung Saalfeld. Die Männer schüttelten sich die Hand, und Berger ließ sich mit einem obszönen »Aaaah« in Saalfelds freien Chefsessel fallen. Der Stuhl bog sich bedrohlich vor und zurück. Berger wippte noch etwas nach, als wolle er die Stabilität des Möbelstücks testen. Kai Saalfeld, dem diese Vorstellung zu viel wurde, verließ das Zimmer und orderte bei Frau Menzel zwei Espressi mit separaten Cognacs. Dr. Berger trank auch am Morgen gern einen Schluck. Zurück im Büro ließ der Aufsichtsratsvorsitzende immer noch nicht von seinem Stuhl ab.
»Hundertfünfunddreißig Grad! Zwischen Ober- und Unterkörper muss bei einem guten Bürostuhl ein Winkel von hundertfünfunddreißig Grad sein«, schwadronierte Berger.»Das ist für die Bandscheiben am gesündesten. Eine Mittellage zwischen Liegen und Sitzen. Neueste medizinische Erkenntnisse.« Er machte eine wichtigtuerische Handbewegung.
Frau Menzel kam herein und stellte ihr Tablett vor Berger auf dem Schreibtisch ab. Der Aufsichtsratsvorsitzende kam mühsam aus den Tiefen des Chefsessels hoch. »Aber mit diesem Stuhl hier funktioniert das nicht«, ächzte er. »Kein Wunder, dass du so nicht arbeiten kannst.«
Dr. Berger trank den Espresso und den Cognac jeweils in einem Schluck leer. Dann wandte er sich Kai Saalfeld zu.
»Täglich – täglich – habe ich jetzt den alten Hagenau am Telefon! Ich besänftige, schmeichle, tröste, lenke ab, aber alles umsonst. Dir ist klar, dass ihm fünfunddreißig Prozent der Aktien gehören?«
Saalfelds Blase drückte. Immerhin wusste der Fettsack noch nichts von den Investmenthyänen.
»Der alte Hagenau will deinen Kopf«, sagte Berger leichthin und öffnete mit einer Was-kann-ich-da-noch-machen-Geste seine Hände. Dabei blickte er Saalfeld treuherzig an. »Niemand hat es nun mal gern, wenn man sich mit seinen Aktien nur noch den Arsch abputzen kann.«
Selber Arschloch, dachte Kai Saalfeld.
»Und trotzdem: Ich hab was rausholen können.« Berger schaute erfolgsheischend um sich. »Du hast zwei Wochen Zeit. Bis dahin muss der Kurs aber wieder nach oben zeigen. Ansonsten war’s das.« Mit diesen Worten wuchtete Dr. Berger sein Gewicht aus dem Sitzmöbel und verließ den Raum.
Saalfeld tat, was er schon die ganze Zeit hatte tun wollen: Er ging auf die Toilette. Ohne Eile schloss er sein privates Pissoir auf, erleichterte sich, wusch sich die Hände und nahm eines der angewärmten, nach Lavendel duftenden Handtüchlein zum Abtrocknen. An seinem Siegelring, densein Schwiegervater ihm hinterlassen hatte, klebte ein Rest Seife. Er tupfte den Ring ab. Dann warf er einen Blick in den Spiegel. Was er sah, gefiel ihm. Kaum graue Haare, wenig Falten, ein entschlossener Blick. Seine sechsundvierzig Jahre standen ihm ausgezeichnet. Ganz anders dieser Berger: ein wabbeliger Wichtigtuer, der selbst nie ein Unternehmen geleitet hatte und dessen Aktivität sich darin erschöpfte, sich von seiner reichen Familie Aufsichtsratsposten zuschanzen zu lassen. Kai Saalfeld hingegen hatte sich alles selbst erarbeitet. Und zwar wirklich alles. Inklusive der Manieren, die in bestimmten Kreisen erwartet wurden – und der richtigen Ehefrau. Sie hatte das Geld und die nötigen Kontakte mit in die Ehe gebracht. Seine eigene Mutter war Schneiderin gewesen. Und sein Vater war abgehauen, als er sechs Jahre alt war. Von ihm hatte er seine Liebe zu Pflanzen. Das war aber auch schon ihre einzige Gemeinsamkeit. Sein ganzes Leben lang hatte er Probleme gelöst. Und dieses hier würde er auch in den Griff bekommen. Allerdings waren zwei Wochen nicht viel, um eine Aktie wieder auf die Beine zu bekommen.
Als Kai Saalfeld in sein Büro zurückkam, war das Obst da. Ein Teller mit frisch geschälten, klein geschnittenen Pfirsichen. Es war 9.50 Uhr. Fast eine ganze Stunde zu spät. Er nahm sich trotzdem ein Stück und dachte nach.
Es klopfte, und Frau Menzels Kopf erschien im Türrahmen. Saalfeld
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