Haut, so weiß wie Schnee
nickte ihr zu. Die Sekretärin kam herein und reichte ihm eine Unterschriftenmappe. Beim Verlassen des Raumes drehte sie sich noch einmal um und sagte: »Zwei Wochen. Ich weiß Bescheid.« Ein Anflug von Mitgefühl war auf ihrem Gesicht zu erkennen. »Dr. Berger war heute schon früher im Haus und hatte mich zu einem Kaffee eingeladen. Dabei hatte er es angedeutet. Ich durfte aber nichts sagen. Er wollte es unbedingt selbst tun.« Mit dem letzten Satz zog sie die Tür hinter sich zu.
Jetzt tobte Saalfeld vor Wut. Seine persönliche Sekretärin fühlte sich dem Aufsichtsratschef verpflichteter als ihm gegenüber! Diese Demütigung! Damit war Frau Menzel ihrem Ruf, als eine der Ersten über die Vorgänge im Haus informiert zu sein, wieder einmal gerecht geworden. Aber ihr Wissen hatte sie nicht ihm zur Verfügung gestellt. Und auch ansonsten ließ man ihn im Haus seine schwindende Autorität spüren. Aber er würde es ihnen allen zeigen. Er war noch lange nicht weg vom Fenster. Außerdem brauchte er den Job. Finanziell betrachtet. Saalfeld dachte an das Tropenhaus, das er neben der Villa bauen ließ. Und an den Regenwald, der zurzeit in Richtung Deutschland verschifft wurde. Sogar eine Kolonie Nasenaffen hatte er erworben. Sie wurden mit umgesiedelt. Ein teures Projekt. Wenn er ehrlich war, war es sogar so teuer, dass er sich das vorzeitige Ausscheiden aus dem Konzern nicht einmal mit der damit verbundenen Abfindung leisten konnte. Was er brauchte, waren die regelmäßigen Gehaltszahlungen und die lukrativen Tantiemen zum Jahresende.
Er musste handeln. Was er jetzt brauchte, war ein Joker, so etwas wie eine Formel für reine Haut – das könnte das große Los sein. Norbert Königssohn war ein sehr integrer Wissenschaftler gewesen. Es gab keinen Grund, an seiner Entdeckung zu zweifeln. Er brauchte jetzt das Blut des Mädchens. Und zwar sofort. Das würde ihn unantastbar machen. Stayermed würde vor ihm den roten Teppich ausrollen. Für Jahre. Für immer. Wim, dieser Versager, hatte das Blut immer noch nicht herbeigeschafft. Das Mädchen hatte ihm die bereits entnommene Blutprobe wieder geklaut. Nicht zu fassen. Wim hatte ihr zwar folgen können, weil er in der Arzttasche einen Peilsender versteckt hatte, aber irgendwie war es dem Mädchen gelungen, Wim vor aller Welt lächerlich zu machen und dann mit der Blutprobe aus dem Stadion zu spazieren.
Er würde Wim jetzt einen klaren, präzisen Auftrag geben. Keinen DRK-Quatsch mehr. Er musste ihn stärker an die Leine nehmen. Kai Saalfeld griff nach einem der neuen Handys, die er in einer Schreibtischschublade aufbewahrte und von denen er jedes nur für einen Anruf nutzte. So war er sicher, dass niemand Unerwünschtes mithörte. Um gar kein Risiko einzugehen, stellte er auch noch das Radio an. Auch die Sekretärin sollte nichts mitkriegen.
»Ich bin an ihr dran!«, sagte Wim, noch ehe Kai Saalfeld irgendetwas gesagt hatte. »Hab mich als Straßenkehrer verkleidet. Sie ist auf der anderen Straßenseite und sitzt dort unter einem Baum …« Wim wand sich irgendwie.
»Was ist denn los?«, blaffte Kai Saalfeld ungehalten.
»Na ja … Sie sitzt da mit Jonah Mint.«
Stille.
»Mit wem?« Kai Saalfeld fühlte sich überrumpelt.
»Dem Sohn des Kochs.«
»Ist mir schon klar«, raunzte Saalfeld. Verdammt noch mal. Seit wann kannten sich die beiden?
»Ich will, dass du mir heute noch das Blut besorgst!«, befahl Kai Saalfeld energisch. »Kidnappe das Mädchen, gib ihr ein Schlafmittel, nimm das Blut ab und lass sie dann wieder frei!«
Einen Augenblick war es still. Dann fragte Wim Tanner: »Und was mache ich, wenn die beiden den ganzen Tag zusammen rumhängen?«
»Dann kidnappst du sie eben beide und lässt sie danach beide wieder frei. Lass dir halt irgendwas einfallen. Das ist doch nicht so schwierig! Soll ich jetzt auch noch deine Arbeit machen?« Wütend drückte Kai Saalfeld das Handy aus.
Jette und Jonah
Jette spürte die warme Rinde des Baumes in ihrem Rücken. Der Junge neben ihr hatte sich vorgebeugt und sprach in ihre Richtung. Aber er hielt seinen Kopf etwas zu weit rechts. Er kann nicht einmal meine Umrisse erkennen, dachte Jette. Er ahnt nur, wo ich sitze.
»Dieser Dr. Saalfeld«, sagte der Junge, »will unbedingt eine Blutprobe von dir, Lina …«
LINA. Der Name traf sie erneut mit voller Wucht. Ihr war, als wirble sie durch tiefes Wasser, als verschlucke sie sich und müsse nach Luft schnappen. Der Junge nannte sie weiter Lina. Sie griff mit ihren Händen
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