Haut, so weiß wie Schnee
Jette-Lindner-DNA würde in der Haut der Kundinnen die gleiche Wirkung wie in ihrem Ursprungskörper entfalten. So sah zumindest der Idealfall aus. Bis dahin war es sicher noch ein weiter Weg. Aber so lange würde er nicht warten müssen. Er konnte die Creme auch schon in einem frühen Entwicklungsstadium auf den Markt bringen.
Wie gut, dass Norbert in seinen Notizen das Gen genannt hatte, das NF1-Gen. Mit dem Wissen um das konkrete Gen war alles andere nur noch Routine. Norbert war ein genialer Wissenschaftler gewesen. Es war bekannt, dass bestimmteMutationen des NF1-Gens schwere Krankheiten auslösen konnten. Aber Norbert musste in dem Blut des Säuglings eine völlig andere, bislang unbekannte Mutation entdeckt haben, die keine Krankheit, sondern außergewöhnliche Schönheit bedeutete.
Endlich waren die Vorbereitungen abgeschlossen, und er konnte zur Tat schreiten. Vorsichtig stellte er ein Reagenzglas mit der besonders zubereiteten DNA-Lösung in ein Analysegerät und schaltete es ein. Auf diesen Augenblick hatte er hingearbeitet. Fast schon ungehalten blickte Saalfeld auf die Uhr über der Tür, die dem feierlichen Augenblick so gar nicht Rechnung trug und einfach weitertickte. Er hatte jede Menge Hürden nehmen müssen, um das Blut zu bekommen. Aber jetzt würde der Computer ihm in Kürze den genauen Bauplan des NF1-Gens von Jette Lindner anzeigen. Diesen musste er dann nur noch mit dem herkömmlichen NF1-Gen vergleichen. Wo das Gen von dem üblichen Muster abwich, lag die Mutation. Falls es mehrere Mutationen gab, die in Frage kämen – was er nicht hoffte –, würde er die falschen noch aussortieren müssen.
Die Analyse begann. Wie früher als Student spürte Saalfeld eine merkwürdige Ergriffenheit, als die ersten Buchstabenfolgen über den Bildschirm flatterten: »atggccg cgcacaggcc ggtggaatgg …« Der genetische Code kam mit nur vier Buchstaben aus. Mehr brauchte er nicht. Die Buchstaben waren Abkürzungen für die vier chemischen Stoffe, aus denen jedes Gen bestand. Was ein Gen vom anderen unterschied, war lediglich die Anordnung der Buchstaben und die Länge des Codes. Das NF1-Gen bestand zum Beispiel aus rund 12 000 Buchstaben. Dass sich das Buch des gesamten Lebens auf nur vier Steuerungselemente reduzieren ließ, faszinierte Saalfeld immer noch. Er klickte auf die Sanduhr auf seinem Desktop. Noch fünfundzwanzig Minuten.
Mit der Entführung der Jugendlichen war er ein großes Risiko eingegangen, doch es würde sich lohnen. Allerdings hatte sein Sohn die Sache unnötig verkompliziert. Es war nicht gerade geplant gewesen, dass er ihn belauschen und dem Kommissar alles brühwarm erzählen würde. Zum Glück hatte die Polizei ihm nicht geglaubt. Nur gut, dass die Aussage nicht an die Presse gelangt war. Immerhin hatte sein Sohn sehr genau beschrieben, was er bei dem Mädchen zu finden hoffte. Inzwischen hatte er alles veranlasst, um seinen Sprössling so bald wie möglich in ein Internat zu geben. Dann konnte er ihm nicht mehr dazwischenfunken. Auch hatte es sich im Nachhinein als überaus klug erwiesen, dass sie den Sohn des Kochs mitentführt hatten. So hatte er den Kommissar auf die falsche Fährte mit dem Liebesurlaub locken können. Nur Carmen hatte etwas rumgezickt, als er von ihr verlangt hatte, bei der Polizei falsch auszusagen. Aber er hatte sie in der Hand. Letztlich hatte sie alles so gemacht, wie er es wollte. Und Marie war überhaupt kein Problem gewesen. Sie hatte ihre freundlichen Augen weit aufgerissen, als er ihr 20 000 Euro für eine Falschaussage bot, und dann die Hände ausgestreckt. Vorsichtshalber hatte er sie danach zu einer befreundeten Familie nach Acapulco vermittelt, damit sie, aus welchen Gründen auch immer, nicht doch noch ins Visier der Polizei geraten konnte. Er hatte in jeder Hinsicht sehr umsichtig reagiert. Er hatte Wim sogar rechtzeitig damit beauftragt, ein paar Haare von Jette Lindner im Palmenhain zu verstreuen. So hatten die fleißigen Polizeibeamten etwas finden können. Und nicht zuletzt hatte sich das Verlies im Affenhaus bestens bewährt. Der Kommissar selbst hatte mit einer Leiter auf der Plattform nachgesehen, jedoch nichts gefunden. Die DNA der Jugendlichen, die die Spurensicherung dort sichergestellt hatte, hatte sich der Kommissar damit erklärt, dass die beidenauch hier einem heimlichen Stelldichein nachgegangen waren. Es war nicht nur gut, dass er Jonah Mint mitentführt hatte. Es war genial gewesen.
Problematisch verhielt es sich eigentlich nur
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