Haut, so weiß wie Schnee
mit Wim. Seitdem diese Jette Lindner die Bildfläche betreten hatte, machte er sich nur noch lächerlich. Jetzt lag er zur Abwechslung mit einer Augenverletzung im Krankenhaus. Immerhin würde er laut Aussage der Ärzte keine bleibenden Schäden davontragen und bald wieder einsatzbereit sein. Seinen Kompagnon hatte es auch erwischt. Es war wirklich nicht zu fassen. Zwei gestandene Männer ließen sich um ein Haar von einem Mädchen und einem blinden Jungen ausschalten. Bisweilen hatte Kai Saalfeld den Eindruck, dass er der Einzige war, der zuverlässig arbeitete.
Der Bildschirmschoner tauchte auf. Ein blauer Fisch schwamm friedlich von rechts nach links über die Bildfläche. Saalfeld schaute ihm eine Weile zu, dann bewegte er die Maus. Der Fisch verschwand, und es erschienen wieder die endlosen Buchstabenfolgen. Saalfeld lehnte sich in seinem Sessel zurück und wippte gedankenverloren hin und her. Schließlich holte er aus seiner Aktentasche eine kleine Dose hervor und öffnete sie. In ihrem Innern lagen ein paar halbtote Marienkäfer. Er ging zur Fensterbank, wo eine ganze Sammlung fleischfressender Pflanzen stand, griff einen Käfer und ließ ihn in einen besonders schönen, schlauchförmigen Blattkelch gleiten. Der Marienkäfer riss in einer letzten Anstrengung seine Flügel in die Höhe, konnte sie aber offenbar nicht mehr richtig bewegen und verschwand in der Tiefe des Pflanzenschlundes.
Diese fleischfressenden Pflanzen waren das Hobby eines Labormitarbeiters. In den vergangenen Jahren war Kai Saalfeld dazu übergegangen, bei Neueinstellungen auch auf sonstige Begabungen und persönliche Interessen derBewerber zu achten. Es gab so viele gute Wissenschaftler, dass er sich inzwischen für diejenigen entschied, die seine Leidenschaft für die Welt der Gärten teilten. Das Wort »Leidenschaft« traf es ziemlich gut. Was er nicht alles auf sich nahm, nur um seine Vorstellungen von perfekter Gartenkunst umsetzen zu können! Letztlich arbeitete er, um seine Gärten finanzieren zu können. Aber schließlich brauchte jeder irgendeine Motivation.
Pling machte es hinter Saalfelds Rücken. Er drehte sich um und kniff die Augen zusammen, um die Schrift auf dem Monitor lesen zu können. Die Analyse ist fertig. Drücken Sie auf Beenden. Zufrieden ging er zu seinem Schreibtisch und öffnete ein neues Computerprogramm. Dann gab er den Befehl, das NF1-Gen des Mädchens mit dem NF1-Gen zu vergleichen, das die internationale Forschergemeinde ins Internet gestellt hatte.
Die Analyse dauerte nur wenige Sekunden. Dann erschien die Meldung Vergleich beendet auf dem Bildschirm. Saalfeld wurde es heiß. »Ruhig, alter Junge«, murmelte er und ließ sich das Ergebnis anzeigen: Die Analyse hat 14 Mutationen ergeben.
»Etwas viel«, murmelte Saalfeld unangenehm berührt und stand auf. Er atmete tief durch, massierte mit seinen Fingerspitzen die Schläfen und machte zwei Kniebeugen. Das sah zwar nicht sehr vorteilhaft aus, gab ihm aber stets ein Gefühl von Stärke. Jetzt musste er die bekannten Mutationen des NF1-Gens aussortieren. Er öffnete eine weitere Software, die dazu in der Lage war, und drückte auf Start. Plötzlich schoss ihm ein schrecklicher Gedanke durch den Kopf: Und wenn alle vierzehn Mutationen bekannt waren? Was dann?
Er war auf diese Entdeckung angewiesen. Er brauchte das Geld. Das neue Tropenhaus war sehr viel teurer gewordenals ursprünglich geplant. Er hatte unterschätzt, wie kompliziert der Bau eines Tropenhauses war. Man musste ein labiles Gleichgewicht von Licht, Temperatur, Feuchtigkeit und Luftströmungen aufrechterhalten, was nur mit aufwändiger Computertechnik möglich war. In diesen Tagen wurde nun endlich der Dschungel geliefert. Er hatte ihn selbst in Borneo ausgesucht und alles für die Verschiffung veranlasst. Der Wald kam in ganzen Stücken zu je fünf Quadratmetern, inklusive Erde und Wurzelwerk. Das Projekt hatte nur einmal auf der Kippe gestanden, als die Malaien völlig entnervt behauptet hatten, es gelänge ihnen nicht, das dornige Gestrüpp der Rotangpalmen an den Abbruchkanten zu entwirren. Sie würden die Wurzeln jetzt abhacken. Saalfeld hatte daraufhin mit dem Entzug des Auftrags gedroht, und schließlich klappte doch alles zu seiner Zufriedenheit. Das Teuerste war die Charter der Containerschiffe, die extra mit Gewächshäusern ausgestattet werden mussten. Und natürlich die Gelder für die Behörden vor Ort. Nasenaffen waren nicht einfach so zu haben. Einige Rechnungen waren noch offen,
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