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Haut, so weiß wie Schnee

Haut, so weiß wie Schnee

Titel: Haut, so weiß wie Schnee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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irgendwann wieder sehen können?«
    »Vielleicht … Vielleicht auch nicht.«
    Die Ärzte hatten ihm gesagt, dass die Sehnerven die Bilder von den Augen ins Gehirn transportieren. Wenn die Sehnerven kaputt sind, kommt im Gehirn nichts mehr an. Sehnerven wachsen nicht nach, hatten sie gesagt. Und künstlich könne man sie nicht herstellen. Seine Eltern hatten ihn zu einer ganzen Armada von Ärzten geschleppt. Keiner konnte ihm helfen, aber dafür hatten fast alle ungefragt einen guten Ratschlag auf Lager gehabt in der Art von »Gewöhn-dich-möglichst-schnell-daran-da-kann-man-eh-nichts-ändern«.
    »Du hast überlebt«, sagte Jette. »Und du hast keines dieser Schädel-Hirn-Traumata. Ich bin froh, dass du lebst und dass du jetzt hier bist.« Ihre Stimme war freundlich, ehrlich. Wie die eines guten Freundes. Es versetzte ihm einen Stich.
    Dann sagte sie abrupt: »Jo, wir müssen hier raus.«
    Der Themenwechsel kam ihm viel zu schnell. »Du hast recht«, antwortete er und versuchte, sachlich zu klingen. Was hatte er erwartet? Dass sie in Tränen aufgelöst seinen Schilderungen lauschen würde? Dass sie ihn beglückwünschen würde, wie gut er als Blinder zurechtkam? Er riss sich zusammen. Eine Blöße wie am ersten Tag ihrer Gefangenschaft, als er sich vor ihren Augen hatte gehen lassen, wollte er sich nicht noch einmal geben. Das Problem war, er hatte einfach keine Idee, wie sie aus dem Verlies herauskommen sollten. Sie hatten bereits alle Wände abgesucht und nichts gefunden, was ihnen hätte helfen können. Kein Täfelchen zum Wegschieben, keinen Knopf zum Draufdrücken. Nichts. Sie hatten sogar die Steckdose im Dunkeln abmontiert und sie wieder eingesetzt, als ihnen nichts mehr einfiel.
    »Vielleicht sollten wir das Gebläse ausbauen«, sagte Jonah langsam. Das hatten sie sich bisher nicht getraut. Der kleinerechteckige Kasten pumpte schließlich Sauerstoff in ihren Kerker, und sie hatten nicht vor, sich die Atemluft abzudrehen. Wenn das Gebläse aus war, weil Jette so wie jetzt die Steckdose für die Lampe nutzte, wurde es bereits nach einer halben Stunde stickig, und sie machten es dann jedes Mal schnell wieder an. Sie hatten keine Ahnung, wie das Gebläse technisch funktionierte. Der Ausbau wäre also ein echtes Wagnis. Vielleicht wäre der Raum dann hermetisch abgeschlossen, und das Gebläse ließe sich nicht wieder richtig einsetzen. Aber möglicherweise steckte es auch einfach in einem Loch in der Wand, und wenn sie es ausbauten, hätten sie eine Öffnung ins Freie.
    »Okay«, sagte Jette entschlossen.
    »Wir stellen das Gebläse noch einmal an, bevor wir es rausnehmen«, sagte Jonah. »Dann haben wir für eine Weile genug Luft.«
    Jette stöpselte die Kabel um. Als sie die Lampe ausmachte, setzte sie ihre Arbeit im Dunkeln ohne Unterbrechung fort. Sie kommt schon gut im Dunkeln zurecht, dachte Jonah freudlos.
    »Eine Viertelstunde?«, fragte sie.
    Er nickte. Sie setzten sich schweigend nebeneinander auf die Isomatten. Das Gebläse brummte. Jonah fiel zum ersten Mal bewusst auf, dass er atmete. Er lebte, weil er atmete. Oder atmete er, weil er lebte? Die Zeit dehnte sich, während sie darauf warteten, dass der Raum mit ausreichend Sauerstoff gefüllt war.
    Endlich standen sie auf. Jette machte wieder Licht, stellte einen Stuhl unter das Gebläse und kletterte hoch. Jonah hörte, wie sie an dem Gerät herumfuhrwerkte.
    »Kann man das Gehäuse einfach so abheben?«, fragte er.
    »Nee«, sagte Jette, »ist angeschraubt.« Sie suchte in ihren Hosentaschen nach dem Draht, mit dem sie schon die Lampeaufgeschraubt hatte. Nach ein paar Minuten hatte sie das Gehäuse aus der Verankerung gelöst und reichte es Jonah.
    »Hier ist noch ein Filter«, sagte sie. »Den nehm ich auch noch raus.« Sie klang jetzt nervös. Jonah hoffte, dass sie nichts überstürzte und dabei einen Fehler machte. Doch der Filter war im Nu ausgebaut, und plötzlich rief Jette aufgeregt: »Da ist ein Rohr! Und es kommt ein bisschen Licht herein! Aber das Rohr ist außen irgendwie zu. Vielleicht Lamellen. Ich versuch, sie wegzudrücken. Mein Arm passt durch.« Sie hantierte mit ihrem Arm in dem Rohr herum. »Jo!«, rief sie jubelnd. Aber er wusste es schon. Frische Luft wehte herein. »Hier ist ein Loch in der Wand!« Sie war begeistert. »Ich kann den Himmel sehen. Ich muss nur meinen Kopf schief legen. Es wird gerade dunkel. Und es ist bewölkt, aber nur ein bisschen. Ich sehe einen Vogel …« Sie redete ohne Punkt und Komma. »Schnell, gib

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