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Haut

Haut

Titel: Haut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Hayder
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trabte bis zum Haus und einmal um das Grundstück herum, aber sie konnte nichts Ungewöhnliches entdecken. Das Haus schien leer zu sein. Im Garten herrschte Stille. Es war jetzt fast dunkel, und nur aus den Fenstern der Oscars hoch oben in der Mauer fiel gedämpftes, gelbliches Licht.
    Sie steckte den Schlüssel ins Schloss, doch dann hielt sie einen Moment lang inne; der Schweiß lief in Strömen an ihr herunter, und ihr Gehirn arbeitete. Sie zog den Schlüssel wieder heraus und ging zwei Schritte an der Hauswand entlang bis zu der Glyzine, die dort in dichten Rispen blühte.
    Seit Jahren hatten sie in der Familie die Gewohnheit, an einem Nagel unter der Glyzine einen Hausschlüssel aufzubewahren. Für Notfälle. Er hing versteckt hinter dem dicken Stamm, sodass er auch im Winter nur für Eingeweihte zu finden war. Sie schob die Blätter beiseite und sah nach. Da hing er, wie schon seit Jahren: ein bisschen rostig und gut verborgen. Nichts war verändert, da war sie sicher. Alles in Ordnung. Nichts zu beanstanden.
    Sie drehte sich langsam um und betrachtete die Bäume. Hinter einem Halloween-Filigran aus Zweigen leuchtete die kalte Scheibe des Mondes. Sie dachte an menschliche Füße, die über ihr in einer Wolke von Luftblasen verschwanden. Und an Caffery: Haben Sie sich schon mal gefragt, ob uns an dem Tag jemand entkommen ist? Als wir in diese leer stehenden Räume eingedrungen sind?
    Nach der Razzia bei der Operation Norwegen hatte Wellard sich beklagt, er habe sich »beobachtet gefühlt«, als er aus dem Gebäude kam. »Beobachtet« war das richtige Wort. Sie hatten es alle gespürt. Und am Abend, nachdem alles vorbei und sie zu Hause war, überkam sie für einen Augenblick das Gefühl, dass bei dieser Festnahme irgendetwas nicht gestimmt hatte.
    Sie nahm den Schlüssel vom Nagel, steckte ihn ein und ging ins Haus. In der leeren Diele war es kühl; nur eine Motte flatterte gegen die Deckenlampe. »Hallo?«, rief Flea. »Hallo?«
    Sie knipste in allen Zimmern im Erdgeschoss das Licht an, lief in die Garage und starrte geraume Zeit die Umrisse in der Wanne an, die Stellen, an denen das Plastik über den Rand ragte. Sie war vor ihrem Dauerlauf hier gewesen, hatte das Wasser herausgeschöpft und Eis nachgefüllt. Seitdem hatte sich nichts verändert. Nichts.
    Sie ging in die Küche und betrachtete die Dinge auf dem Bord: die Töpfe und Pfannen ihrer Mutter, den alten Tresor ihres Vaters, den niemand öffnen konnte - der Himmel wusste, was darin war. Sie nahm den Hausschlüssel aus der Tasche und legte ihn auf den Kaminsims. Nur zwei Menschen wussten, wo er aufbewahrt wurde. Der eine war Kaiser, der Freund ihres Vaters, und der andere... tja, der andere war Thom.
    Irgendwo über ihr, in einem der Schlafzimmer, hörte sie ein leises Knarren. Sie schaute zur Decke, ihre Augen tränten ein bisschen. Jeden Abend um sechs schaltete sich der Heißwasserboiler ein, und die Rohrleitungen entwickelten manchmal ein Eigenleben. Sie ließen das alte Haus knarren und ächzen.
    Sie ging in die Diele. Der Mond schien durch die halb verglaste Hintertür und gab den Dingen metallisch changierende Konturen: dem Teppichläufer, den blank gebohnerten Bodendielen zu beiden Seiten, dem Schirmständer und dem alten Spiegel mit dem geschnitzten Rahmen am Fuß der Treppe. Ihre Gummistiefel standen neben der Hintertür, als hätte sie eben erst jemand ausgezogen. Sie schienen unendlich weit weg zu sein, als wäre die Diele stetig länger geworden, während sie in der Küche war.
    Im Schirmständer befanden sich keine Schirme, aber er war voll mit anderem Kram; es gab einen Wanderstock, eine alte Hundeleine von einem längst verstorbenen Hund und einen Malakka-Stockdegen, den ihr Vater vor Jahren aus Polen mitgebracht hatte. Ohne die Treppe, das dunkle Nichts auf dem Absatz dort oben, aus den Augen zu lassen, ging sie hin und zog lautlos den Degen heraus, hielt ihn vor sich und stieg die Treppe hinauf. Die Stufen knarrten unter ihren Füßen.
    Oben war es finster. Sie lief durch den Korridor mit dem unebenen Boden und der niedrigen Decke, dann in die Schlafzimmer, schnell und leise, wie sie es trainiert hatte: ihr eigenes Zimmer, Mum und Dads Zimmer, wo das Bettzeug zusammengelegt auf dem Boden lag, weil sie es immer noch nicht übers Herz gebracht hatte, es wegzuräumen. Das Zimmer, in dem Dad damals Thom geohrfeigt hatte. Zwei leere Zimmer am Ende des Korridors. Hier war niemand außer ihr und der Heißwasserpumpe.
    Sie setzte sich auf die

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