Haut
oberste Stufe, wühlte ihr Telefon hervor und rief Jack Caffery an.
»Ich bin im Auto«, sagte er. »Ich lege Sie auf die Freisprechanlage.« Dann folgten eine Pause und ein dumpfes Geräusch. Sie hörte das gedämpfte Rumpeln und Vibrieren eines Wagens, der irgendwo da draußen mit siebzig Meilen in der Stunde durch den Abend fuhr. »Was gibt's?«
»Haben Sie ihn gefunden?«
»Wen?«
Sie rieb sich die Beine, um die Gänsehaut zu glätten. »Das Ding, nach dem Sie gesucht haben. Den Tokoloshe.«
»Sie dachten, ich bin verrückt. Aber es hat sich herausgestellt, dass ich es nicht war. Da war noch jemand in diesem Loch an dem Tag. Jemand, der entkommen ist. Er heißt Arnos Chipeta. Ein illegaler Einwanderer.«
»Wie alt ist er? Er kann kein Erwachsener sein, der wäre niemals durch das Fenster gekommen.«
»Aber jemand mit einer angeborenen Missbildung schon. Schon mal von Knochendysplasie gehört?«
Sie massierte sich die Schläfen, und plötzlich erinnerte sie sich an eine Abbildung des Tokoloshe in einem Buch, das sie während der Ermittlungen bei der Operation Norwegen gelesen hatte. Als sie es jetzt im Geiste mit den Bildern verglich, die sie gelegentlich in medizinischen Lehrbüchern gesehen hatte, verstand sie, wovon Caffery sprach. »Nein«, sagte sie leise. »Aber ich kann's mir, glaube ich, vorstellen.«
»Und Folgendes wird Ihnen gefallen. Erinnern Sie sich an meine Frage nach dem Freediving? Arnos Chipeta hat als Freitaucher angefangen, hat nach Wracks getaucht. Am Ende hat er mit muti-Artikeln gehandelt und schließlich unseren einheimischen Gangstern beigebracht, wie man Leichen zerstückelt. Ein schöner Lebenslauf.«
»O Gott«, murmelte sie und dachte an die Füße im Wasser. Wegen der fünfzig Meter war sie skeptisch gewesen, aber ein paar der besten Freediver der Welt hatten als Wracktaucher begonnen. Dann fiel ihr der Schlüssel ein, der unten auf dem Kaminsims lag. Arnos hatte den Leuten der Operation Norwegen gezeigt, wie man Leichen zerstückelte. Was könnte er da mit der anstellen, die unten in der Garage lag? »Was unternimmt die MCIU seinetwegen? Wo ist er?«
Caffery schwieg einen Moment. »Keine Ahnung.«
»Soll das heißen, er ist irgendwo da draußen?«
»Ja. Er hält sich versteckt. Wahrscheinlich unter freiem Himmel. Wir wissen es nicht.«
»Ist er... Wenn Sie sagen, er zerstückelt Leichen, soll das doch nicht etwa heißen, dass er immer noch gefährlich ist, oder?«
»Gefährlich?« Wieder trat eine Pause ein, und man hörte nur das dumpfe Dröhnen des Autos, das durch die Dunkelheit fuhr. »Auch das weiß ich nicht. Aber ich glaube...« Caffery brach ab.
»Ja?«, flüsterte sie, und ihre Arme fühlten sich sehr kalt an. »Sie glauben...?«
»Glastonbury Tor«, sagte er wie aus weiter Ferne. »Der verdammte Tor.«
»Was?«
»Nichts«, murmelte er. »Nichts.«
Und bevor sie etwas erwidern konnte, hatte er die Verbindung beendet. Sie hielt das Telefon in der Hand, während das Licht im Display verlöschte. Das Dröhnen seines Autos klang ihr noch in den Ohren.
So saß sie lange Zeit da, starrte das Telefon an und fror. Ein illegaler Einwanderer? Irgendwo da draußen in der Nacht? Kroch er da durch Hecken und Wälder?
Sie stand auf und nahm sich zusammen. Sie musste noch einmal in die Garage gehen und nach Misty Kitsons Leiche sehen.
Und in diesem Moment begann das Klopfen an der Hintertür.
49
Die letzten Begegnungen mit Flea waren zwar nicht in handfeste Streitereien ausgeartet, aber besonders freundlich waren sie auch nicht verlaufen, dachte Caffery. Deshalb war es eine Überraschung gewesen, ihre Stimme zu hören, eine unangenehme Überraschung. Unter anderen Umständen hätte er diese Gelegenheit vielleicht dazu genutzt, sie ein bisschen in die Zange zu nehmen, weshalb sie sich so verdammt merkwürdig verhalten hatte. Aber dann war ihm das Bild des Glastonbury Tor in den Sinn gekommen, und gleichzeitig hatte grelles Scheinwerferlicht diesem Gedankengang ein Ende bereitet. Er fuhr auf der Überholspur der M 5, als dicht hinter ihm ein jugendlicher Raser in einem Golf GTI auftauchte. Er beendete das Telefonat und bremste so schnell ab, dass der Bengel ihm im Vorbeifahren den Mittelfinger zeigte.
Es war kurz vor zehn. Den halben Abend hatte er versucht, einen Hinweis darauf zu finden, mit wem Lucy zusammen gewesen war - wer dieses Kind gezeugt hatte und was aus ihm geworden war. Er hatte den Durchsuchungsbeschluss für die Bank erhalten; er würde am
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