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Haut

Haut

Titel: Haut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Hayder
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peinlich, Stevie? Ja?«
    Steve schiebt sein Glas weg. Seiner Miene ist das Unbehagen anzusehen. »Natürlich nicht«, murmelt er.
    »Was ist mit deinem Drink, Herzchen? Willst du ihn nicht?«
    »Nein. Ich muss noch fahren.«
    »Ein kleiner Drink schadet doch nichts. Als dein Onkel angehalten wurde, hatte er drei Pints und eine halbe Flasche Wein getrunken, und der Test war trotzdem negativ.«
    »Danke, Mum. Ich möchte nicht.«
    »Du bist ein guter Junge, Stevie. Ein guter Junge.«
    »Ja.«
    Sie kaut an ihren Nägeln. Schaut zum Fernseher hinüber. EastEnders läuft. Der Ton ist abgeschaltet. Interessant, wie schnell diese Detektivin das Geld auftreiben konnte, denkt sie. Kein Gefeilsche. Die volle Summe. Wer mag wohl ihre Klientin sein? Sie ist sicher, dass an diesem kleinen Honigtöpfchen noch ein bisschen mehr Geld hängt; sie kann es riechen. Ihren Termin mit dem Chirurgen hat sie morgen früh. Wenn er das Geld für die Operation im Voraus haben will, wird sie der Detektivin die fünfzehn Riesen abnehmen und damit zufrieden sein. Wenn er bereit ist zu warten, hat sie noch ein wenig Zeit, um die Latte etwas höher zu legen. Dann kann sie die fünfzehntausend zurückweisen, wenn die kleine Miss am Mittag aufkreuzt, und ein bisschen mehr verlangen.
    Sie betrachtet ihre Fingernägel, an denen sie gekaut hat. Schiebt an einem die Nagelhaut zurück und streckt die Hand aus, um zu sehen, wie das Licht sich im Nagellack spiegelt.
    »Stevie? Willst du wissen, warum ich dich gebeten habe herzukommen?«
    »Ich dachte mir schon, dass es nicht nur darum ging, mich zu sehen.«
    »Du hast recht. Ich hab dich gebeten zu kommen, weil ich dir ein richtig schönes Geschenk machen möchte.« Sie lächelt ihn kokett an. »Etwas Schönes, Stevie. Sehr bald schon. Ich schenke dir einen - einen Porsche. Nein - wie viel kostet ein Porsche? Vielleicht so was wie...« Sie klappert mit den Wimpern. »Was kostet ein Porsche?«
    »Keine Ahnung. Achtzigtausend, würde ich schätzen. Wenn du ihn neu kaufst.«
    »So was Ähnliches wie einen Porsche dann. So gut wie ein Porsche. Was Schwarzes. Mit getönten Fenstern. Einen von diesen Offroadern, wenn du willst.«
    »Nein. Lass nur, Mum. Spar dein Geld. Gib es für dich aus.«
    Sie beugt sich hinüber und bohrt ihre Fingernägel sanft in seinen Arm. »Ich bin gut bei Kasse. Du wirst schon noch sehen, Stevie - eines nicht sehr fernen Tages wirst du schon sehen, und du wirst sehr, sehr stolz sein.«
     

48
    Es war ein kühler Abend; von der Hitze des Tages war nichts mehr zu spüren. Flea trug ein Powerlite-Tanktop und -Shorts und lief einen Zwei-Meilen-Rundkurs über die Landstraßen, die sich um die Hügel nördlich von Bath schlängelten. Vor Jahren, bevor Mum und Dad verunglückt waren, hatte sie Männer gehabt - viele sogar. Einer war ein ehemaliger in Quantico ausgebildeter Marineinfanterist gewesen, Sie waren zusammen gelaufen, und er hatte ihr die Fartlek-Technik beigebracht, die sie immer noch anwendete: ein Zwei-Kilometer-Sprint, dann fünf Minuten Gehen und schließlich ein langer Dauerlauf mit großen, ausgreifenden Schritten und in gemütlichem Tempo, alle dreihundert Meter unterbrochen von einem Sechzig-Meter-Sprint. Nach jedem zehnten Sprint kontrollierte sie ihren Puls: durchschnittlich hundertdreiundsiebzig. Weit oberhalb des üblichen Herzfrequenzbereichs. Aber das brauchte sie heute.
    Nach neunzig Minuten hatte sie die Laktatschwelle ihrer Schätzung nach um das Zwanzigfache überschritten. Sie sollte jetzt in die Abkühlungsphase übergehen, ein bisschen bremsen und gemächlich nach Hause joggen. Aber sie lief weiter auf vollen Touren und jagte über die Landstraßen, bis die Sonne hinter Bristol versank, lange Schatten über den Feldern lagen und ihre Beine zitterten. Bis sie ruhig war. Rannte weiter, bis sie nichts mehr empfand außer einem Rest von Trauer, einem dumpfen Schmerz in der Nähe der Lunge, der sie an ihren Bruder erinnerte.
    Auf dem letzten Stück, einer schmalen, von Bäumen gesäumten Straße mit einer Pferdeweide zur Rechten, glaubte sie, in der Tür ihres Hauses etwas zu erkennen. Etwas Kleines wie ein Tier, einen Hund vielleicht, der auf den Hinterbeinen stand und ihr durch die dunkle Allee entgegenspähte. Sie lief langsamer. Kniff die Augen zusammen. Was immer es gewesen war, es war verschwunden. Vielleicht hatten die Schatten sie getäuscht. Da war nichts, nur der lange, kerzengerade Stamm des Eukalyptusbaums der Nachbarn am Rand ihrer Einfahrt.
    Sie

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