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Haut

Haut

Titel: Haut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Hayder
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aus, drückte die Wagentür geräuschlos zu und lief schnell und lautlos auf das Portal zu; blieb daneben stehen, sodass man ihn von drinnen nicht sehen konnte. Das Geräusch hörte sich hier lauter an, doch obwohl er konzentriert lauschte, konnte er es nicht identifizieren. Es konnte ein Tier sein, ein verletzter Fuchs, der da hechelte. Oder ein wimmerndes Kind.
    Er öffnete vorschriftsmäßig den Mund, um zu rufen denn man hatte die Leute zu warnen: Hier sei die Polizei, und man komme jetzt herein. Man musste ihnen eine Chance geben. Eine Chance wozu? Nicht in Panik zu geraten? Nicht zu schießen? Oder die Chance, einfach wegzulaufen? Er schlug sein Jackett vor dem Funkgerät zurück, das mit einem Clip an der Brusttasche befestigt war, damit er im Notfall den roten Notrufknopf drücken konnte, und schlich sich dann in den Hangar.
    Die Halle war größer, als er sie in Erinnerung hatte, und höher. Im Halbdunkel spürte er den gewaltigen Hohlraum, der sich über seinem Kopf wölbte. Der matte Lichtschein der Stadt fiel hinter ihm herein, und vor ihm drang das staubig blaue Licht eines Computers oder Faxgeräts durch die Fenster des Büros. Dort, wo die Kundin die Kristalle des Kronleuchters entwirrt hatte, blieb er stehen. Er stützte sich mit einer Hand auf eine niedrige Eichenholzbank, mit der anderen umfasste er die CS-Gas-Sprühdose und legte den Kopf in den Nacken, um sich auf das Geräusch zu konzentrieren. Es schien von überall und nirgends herzukommen und zwischen den Dachträgern widerzuhallen. Was war das? Er bekam Gänsehaut davon, denn eins war sicher. Es kam von etwas Lebendigem.
    Da lag auch ein Geruch in der Luft. Alt und namenlos, aber vertraut. Er wartete einen Herzschlag lang und versuchte ihn einzuordnen, und dann wurde ihm klar, dass er von der Bank kam, auf die er sich gestützt hatte. Er hob die Hand, rieb die Finger aneinander. Etwas klebte an ihnen. Er hielt sie unter die Nase und schnupperte. Ein Verdacht stieg in ihm auf, bei dem es ihm kalt über den Rücken lief. Es war Fett. Tierisches Fett.
    Er erinnerte sich, dass er die Bank schon am Tag zuvor bemerkt hatte. Es war ein abgenutzter Gerberbaum mit einer senkrecht darüber angebrachten halbrunden Klinge, etwas mehr als einen Meter hoch. Gerber hatten so etwas benutzt, um Leder vom Fleisch zu befreien; sie setzten sich auf diese Bank und bearbeiteten die Haut mit der Klinge. Die Haut konnte so groß sein wie die eines Rehs oder eines Elchs. Oder so klein wie die eines Hundes.
    Das Geräusch hörte auf.
    Er drehte sich um. Seine Finger berührten den Schlagstock. Er spähte in die Dunkelheit. Lass uns hinausgehen, wollte er rufen. Lass uns hinausgehen, wo es ein bisschen heller ist und mein Auto steht und wo ich weiß, dass dieses beschissene Funkgerät Netzkontakt hat. Aber stattdessen sprach er mit leiser, ruhiger Stimme. »Ich denke, wir sollten uns unterhalten. Ich schlage vor, wir schalten das Licht ein und reden miteinander.«
    Stille. Ein Schwärm Fledermäuse schwirrte zwischen den Dachträgern umher.
    »Sind Sie da?«
    Er dachte an die verrückte Kundin, die unermüdlich die Lüsterkristalle geordnet hatte, an ihren stumpfen, resignierten Blick. Und er dachte an die Pistole, die im Handschuhfach lag.
    »Ich frage, ob Sie da sind?«
    Hinter ihm klickte etwas, und dann ertönte ein lautes Dröhnen. Er fuhr herum und sah, wie das große Schiebetor sich vor dem Nachthimmel schloss. Er stand im Dunkeln, allein mit dem blauen Licht des Computers und seinem klopfenden Herzen.
    Er holte die Gasdose hervor und hielt sie mit ausgestrecktem Arm vor sich. Warum hatte er die Pistole im Handschuhfach gelassen? Jetzt hätte er sie gebrauchen können. »Ich warne Sie, verdammt«, sagte er. »Ganz im Ernst, fangen Sie keinen Scheiß mit mir an.«
    Die Dunkelheit war undurchdringlich. Er bewegte die Sprühdose im Bogen hin und her, jederzeit bereit, die Sicherung zu lösen, wenn sich irgendetwas auf ihn stürzen sollte. Seine ganze Haut knisterte, und seine Ohren lauschten angestrengt nach dem leisesten Geräusch, der winzigsten Bewegung.
    »Ich komme jetzt«, sagte er. »Ich komme zur Tür.«
    Nach ein paar Schritten blieb er erneut stehen. Sein Fuß war an einen kniehohen Gegenstand gestoßen. Er zog ihn zurück und spürte, dass ein, zwei Schritte weiter links von ihm etwas stand - fahl und geisterhaft, mannshoch - und ihn beobachtete. Er drehte sich nicht um, sondern blieb der Tür zugewandt und versuchte, die Gestalt aus dem Augenwinkel zu

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