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Haut

Haut

Titel: Haut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Hayder
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B-Straße, die geradewegs durch die Gegend führte, in der die Suchtrupps nach Misty Kitson gesucht hatten. Sie zog sich am Fuß des Berges entlang und vorbei an der Einfahrt zur Klinik Farleigh Park Hall, diesem riesigen, hell erleuchteten Herrenhaus mit seinen Kolonnaden und der imposanten Freitreppe. Er fuhr langsamer und versuchte sich vorzustellen, wie Misty aus diesem Gebäude kam und sich nach rechts wandte - oder nach links? Eine Ironie des Schicksals, dachte er, als das Hinweisschild an der Zufahrt im Scheinwerferlicht aufleuchtete: Lucy Mahoney war ungefähr genauso lange vermisst gewesen wie Misty Kitson, und während die Polizei ihre gesamte Kavallerie auf den Fall Kitson gehetzt hatte, die komplette Hochleistungsmaschinerie der MCIU, hatte Lucy Mahoney nur einen einzigen Detective Inspector, einen Pappkameraden, der nicht mal die Obduktion durchgestanden hatte, und eine Familienbetreuerin, die zu faul war, um die Verwandten der Toten wissen zu lassen, dass man sie gefunden hatte, ehe Beatrice Foxton ihre Innereien herausgewühlt, gewogen, zerschnitten, analysiert und wieder in die Bauchhöhle gestopft hatte.
    Caffery fuhr langsam an einem Rapsfeld vorbei, das bergauf bis zu dem Teich reichte, den Flea Marleys Team abgesucht hatte. Auf der anderen Seite funkelten die Lichter einer kleinen Ortschaft zwischen den Bäumen hindurch. Den Suchradius hatte er inzwischen verlassen. Die Straße war jetzt breiter und von Pappeln gesäumt, und er gab Gas. An der nächsten richtigen Kreuzung bog er nach links ab, fuhr noch einmal fünf Meilen und sah dann links einen Feldweg, den er wiedererkannte. Hier war er Anfang der Woche mit dem Walking Man gewesen.
    Er hielt an, stieg aus, schloss den Wagen ab, kletterte über ein Gatter und wanderte den lang gezogenen Hang hinauf. Die kleine Taschenlampe an seinem Schlüsselring beleuchtete seinen Weg; ihr bläuliches Licht wirkte kümmerlich in der Finsternis. In der Ferne ließ Bristol den Himmel natriumgelb leuchten. Da, wo das Lagerfeuer des Walking Man vor ein paar Tagen gebrannt hatte, blieb er stehen; er knöpfte seine Jacke auf, kniete sich auf den Boden und sog den Restgeruch von verbrannter Erde in die Nase. Der Boden war kalt.
    »Hey«, rief er leise in die Dunkelheit. »Sind Sie da?«
    Er hörte nichts, nur das ferne Rascheln des Windes in den Bäumen. Der Walking Man war nicht da.
    Er ging zum Wagen zurück und fuhr im Rückwärtsgang über den ausgefahrenen Feldweg bis zur Straße. An der A 36 bog er nach links und nach einer halben Meile nach rechts auf eine kleine, kurvenreiche Straße ab, auf der er fast zehn Minuten lang blieb. Ab und zu sah er seine eigenen Augen im Rückspiegel. Blau, mit dunklen Wimpern. Die Augen seiner Mutter. Sie war ein braves katholisches Mädchen aus Toxteth gewesen. Er hatte sie seit mehr als zwanzig Jahren nicht mehr gesehen - nicht, seit sie Ewan aufgegeben hatte und aus London weggezogen war, um alles hinter sich zu lassen. Sogar ihren jüngeren Sohn Jack. Er wusste nicht einmal, ob sie gestorben war oder noch lebte. Aber eins stand fest: Wenn sie gestorben war, hatte sie einen Rosenkranz um die Finger geschlungen gehabt, als man sie ins Grab legte, und niemand hatte sich etwas dabei gedacht. Ein Armband aus Menschenhaaren erschien vor seinem geistigen Auge, ein Schutz gegen böse Geister. »Primitives Zeug«, hatte Powers gesagt. Aber es gab viele Wege, die zu Gott führten, dachte Caffery und betastete die kahle Stelle an seinem Hinterkopf. Eine ganze Welt von verschiedenen Wegen.
    Er trat hart auf die Bremse. Der Funke war so klein, dass er ihn fast übersehen hätte. Irgendwo in den Feldern auf der rechten Seite, unten am schlammigen, von Binsen überwucherten Flussufer, brannte ein Feuer. Er setzte auf der stillen Straße ein kleines Stück zurück, stemmte sich auf dem Sitz hoch, um einen Blick über die Hecke zu werfen, wendete den Wagen und bog in den ersten Feldweg ein, den er fand. Rumpelnd fuhr er auf ein Feld; der Auspuff schrammte über den Boden zwischen den Furchen. Er stellte den Motor ab, schaltete die Scheinwerfer aus und blieb einen Augenblick lang still sitzen, schaute zu dem Feuer. Der Walking Man.
    Er hatte Cafferys Wagen gehört, blickte jedoch nicht auf. Gelassen saß er am Feuer, kratzte sich den öligen Bart und starrte in die Flammen, als hätten sie ihm eben eine Geschichte erzählt, die er sich jetzt durch den Kopf gehen ließ. Seine Habseligkeiten lagen um ihn herum verteilt im roten Lichtschein des

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