Haut
und die Taschenlampe hervor, rollte das Papier zusammen, schob es über die Taschenlampe und befestigte es mit einem Gummiband. Mit einem zweiten Blatt blendete sie die offene Seite ab. Sie hielt die Lampe mit ausgestrecktem Arm vor sich, drehte sie hin und her und zog das Papier so zurecht, dass man seitlich kein Licht mehr sehen konnte. Der Lichtstrahl fiel jetzt schmal auf den Boden, aber aus der Ferne wäre die Lampe nicht auszumachen, wenn man nicht danach suchte.
Sie hielt die Taschenlampe gesenkt und ging langsam am südlichen Straßenrand entlang. Im Geist zählte sie ihre Schritte. Eins. Zwei. Drei. Vier. Sie konzentrierte sich auf die Straße, und auf die wenigen Häuser, die sie passierte, warf sie nur einen kurzen Blick, um festzustellen, ob sich dort etwas rührte. Manche standen dicht an der Straße, andere weiter weg; ihr Licht schimmerte warm zwischen den Bäumen hindurch. Kein Auto war unterwegs; sie befand sich allein mit ein paar Kühen auf den Weiden und dem Geräusch ihrer Schritte auf dem Asphalt und ihres eigenen Atems.
Hundertzehn, hundertelf, hundertzwölf, hundertdreizehn.
Der Mond kam hinter den Wolken hervor und ließ die Straße wie ein sich schlängelndes, silbrig schimmerndes Band erschien. In diesem Licht hatten die Pflanzen keine Farben; Feldfrüchte, Bäume, Gras - alles war so eintönig grau wie der Schatten vor ihren Füßen.
Hunderteinundzwanzig, hundertzweiundzwanzig, hundert - dreiundzwanzig...
Sie blieb stehen, ihre Nackenhaare sträubten sich. Da war ein Geräusch gewesen, beinahe unhörbar über dem leisen Klappern des Rucksacks. Eine Bewegung in der Hecke. Vorsichtig drehte sie sich um und hielt die Lampe wie eine Waffe vor sich. Ihr Blick wanderte über die Straße. Es war von der anderen Seite der Hecke gekommen, etwa zwei Schritte dahinter. Und ohne zu begreifen, warum, war sie sicher, dass es seinen Ursprung ungefähr in Hüfthöhe gehabt hatte.
»Hallo?«
Ihre Stimme klang hohl und flach durch die kalte Luft. Mit schmalen Augen suchte sie das silbrige Geflecht von Hecke und Bäumen ab. Vielleicht stand Vieh dahinter. Oder es war ein Fuchs oder ein Vogel gewesen. Auf jeden Fall ein Tier. Sie dachte an Steinbruch Nummer acht. Sie dachte an ein Haus, in dem sie im Zusammenhang mit Operation Norwegen gewesen war, ein Haus mit dunklen Zimmern, in denen sie überall das Gefühl gehabt hatte, ein kleiner Schatten bewege sich in Hüfthöhe hinter ihr.
»Bringen wir's hinter uns«, zischte sie. »Ich hab's eilig.«
Stille. Das ferne Dröhnen eines Flugzeugs, das in den Luftraum von Bristol einschwenkte, die sanften Bewegungen, die der leichte Wind in der Hecke zur Linken verursachte. Sie ging ein paar Schritte zurück bis zu der Stelle, wo sie das Geräusch vernommen hatte, und trat gegen die Hecke. Zweige, nichts weiter. Nichts rührte sich. Sie lief ein Stückchen weiter und tat das Gleiche noch einmal. Und noch einmal. Nichts.
Sie atmete ein paarmal tief durch und schüttelte sich. Jack Caffery und seine Hirngespinste verfolgten sie. Erbost reckte sie der Hecke den Mittelfinger entgegen, wandte sich ab und setzte ihre Suche fort. Die schmale Straße führte jetzt bergauf. Ausweichbuchten wechselten sich mit Gattern an den Einfahrten zu den Feldern ab, und Flea wanderte mit der nach unten gerichteten Lampe dicht am Rand entlang und suchte nach Auffälligkeiten. Der Mond stand jetzt hoch am Himmel, und nach ungefähr hundert Metern, hinter einer Kurve, wurde die Strecke wieder eben. Die Straße verbreiterte sich zu einer zweispurigen Landstraße mit einer Mittellinie. Jetzt konnte man fast eine Viertelmeile weit sehen. Mit dem Auto würde man hier Gas geben und so schnell fahren, dass ein Unfall mit einer Person tödlich enden konnte.
Das Feld lag auf der linken Seite. Im Mondlicht waren die Blüten grau, aber es gab keinen Zweifel: ein Rapsfeld. Vom Straßenrand aus stieg das Gelände leicht an. Weiter vorn auf der rechten Seite, wo es ebenfalls bergauf ging, funkelten ein paar Lichter zwischen den Bäumen hindurch. Ein winziges Dorf schmiegte sich dort an den Hang; der Mond beschien Dachpfannen, einen Kamin, zwei Strohdächer. Ihre Taschenlampe würde niemand in diesen Häusern sehen, aber vielleicht sie selbst, ihre schwarze, ungeschützte Silhouette auf der Straße. Sie trat hinunter auf den unbefestigten Rand, wo eine Reihe Pappeln stand, geradlinig und geordnet wie an den Römerstraßen in Frankreich. Im Schatten der Bäume ging sie weiter; sie bewegte die
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