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Haut

Haut

Titel: Haut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Hayder
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getan.
     

28
    Am nächsten Morgen war es still auf den Landstraßen rings um das Rapsfeld. In der Sonne funkelte der Tau auf dem Gras wie kleine Diamanten. Flea ließ den Clio am Straßenrand stehen, stieg aus und ging in Turnschuhen die Straße entlang. Beiläufig passierte sie die Stelle, an der Misty gestorben war, und kehrte nach hundert Metern wieder um.
    Es war erst sieben Uhr, aber sie wusste, dass es ein warmer Tag werden würde. Die Tautropfen im Gras endeten eine Handbreit vor dem Schatten des Hügels in der aufgehenden Sonne. Ein paar Kühe standen da und glotzten sie an, umweht von den Dampfwolken ihres Atems. Sie blieb einen Moment lang bei ihrem Wagen stehen, sah sich um und lauschte, ob auch niemand auftauchte. Aber auf der Straße herrschte Stille. Diese Gegend war nicht nur weit von der Klinik entfernt, sie lag auch außerhalb der Mobilfunk-Basisstation-Zelle. Misty hatte ihr Handy lange vor dem Unfall abgeschaltet. Die MCIU wäre niemals auf den Gedanken gekommen, hier draußen nach ihr zu suchen.
    Aber - sie drehte sich um und schaute zum Hügel empor - wenn der Fall weiterhin unaufgeklärt bliebe, würden sie sich der weiteren Umgebung zuwenden; vielleicht würden sie nicht mehr suchen, aber sie könnten von Haus zu Haus gehen und die Anwohner befragen. Zum Beispiel in dem Dorf dort oben. Die Dächer und Kamine viktorianischer Häuser und fünf oder sechs ältere Cottages waren dort zu sehen. Ein paar der Häuser besaßen Strohdächer, andere erinnerten sie an ihr Elternhaus mit seinen bemoosten, feuchten Dachziegeln. Unterhalb der Cottages, auf dem Hang in der Nähe der Straße, stand ein moderner Bungalow, ein Fremdkörper in dieser Umgebung mit seinem Giebeldach und den Kunststofffenstern.
    An der Rückseite blitzte plötzlich etwas auf, ein Licht oder ein Reflex.
    Sie hob die Hand, beschirmte ihre Augen und schaute hinauf. Es blitzte noch einmal. Ein kurz aufleuchtendes Viereck aus weißem Licht. Dann nichts mehr. Vielleicht hatte jemand ein Fenster geöffnet und wieder geschlossen. Jemand in dem Bungalow war schon auf den Beinen. Vielleicht beobachtete er sie.
    Sie ließ die Hand sinken, schob den Kragen ihrer Jacke mit einer Schulterbewegung höher hinauf, stieg ins Auto und fuhr eine halbe Meile weiter bis zu den Bäumen unterhalb der Ortschaft. Auf der rechten Seite befand sich eine kleine Einmündung. Flea bog ab und parkte den Wagen weit unter den Bäumen, wo niemand vorbeikommen würde. Sie stieg aus, schloss ihn ab und folgte einem schmalen, von Brennnesseln überwucherten Pfad, der auf den Bungalow zuführte. Es ging stetig bergauf. Als der Wald zu Ende war, blieb sie vor einer niedrigen Backsteinmauer stehen und schaute in den Garten des Bungalows.
    Groß und ungepflegt erstreckte er sich über den Hang; Gras und die ersten Löwenzahnblüten sprossen durch die braunen Skelette der Winden vom letzten Jahr. Brombeersträucher breiteten ihre Tentakel über dem Gelände aus, und überall ragten Figuren aus Fibrestone aus dem nassen Gras: Katzen und Delphine, ein Pegasus mit einem abgebrochenen Flügel, ein Esel vor einer Krippe. An Bäumen und Schösslingen hingen Futterhäuschen aus Plastik in verblichenen Pastellfarben: Rosa, Orange und Gelb. Eine Siamkatze - eine lebendige, gefärbt wie eine Creme brûlée - saß unter einem davon und blinzelte schläfrig in Fleas Richtung.
    Das Haus wirkte ebenso schäbig wie der Garten. Seine Fensterrahmen waren einmal dunkelrot gewesen, aber im Lauf der Jahre hatten Sonne und Regen sie verblassen lassen. Es war ebenfalls übersät von Tierfiguren: Schmetterlinge mit abblätternder Farbe flogen an den Wänden hinauf, drei aus Zement gegossene Katzen auf dem First standen einander in Kampfstellung gegenüber, und eine vierte schien mit dem Kopf voran in den Kamin zu kriechen. Die Fenster waren alle geschlossen. Aber sie erkannte jetzt, woher der Sonnenreflex gekommen war - nicht von einer Fensterscheibe. Auf der Terrasse, neben den Glastüren, stand ein Teleskop auf einem Stativ und daneben eine Kamera, ebenfalls auf einem Stativ.
    Lautlos kletterte sie über die Mauer und lief mit schnellen Schritten zur Seite des Hauses und zu einer von der Sonne rissigen Zementplatte, auf der ein verblichener, mit weißem Vogelkot bekleckerter alter Volkswagen stand. Im Haus war außer dem sehr leisen Geräusch eines Fernsehers - eine aufgeregte Stimme, schrill und anschwellend - nichts zu hören. Flea trat einen Schritt näher an die Terrassentür und lauschte

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