Hautnah: Sinnliche Begegnungen (German Edition)
Türöffnungen, Schränke, die hellen Quadrate der Fenster.“
Verfluchte Scheiße, Hannes kämpfte mit den Tränen und Finn konnte nichts anderes machen, als ihn im Arm zu halten.
Keine Umrisse. Nichts, woran er sich orientieren konnte. Was für ein Albtraum.
Umrisse?
Moment. Das Zimmer war fast dunkel. Das bisschen Licht aus dem Flur zählte nicht. Das war es. Vielleicht wurde doch alles gut.
„Komm auf die Beine. Ich versuche mal was.“ Er hievte ihn hoch. Hannes hielt sich an ihm fest. „Wäre schön, wenn du nicht gleich wieder gehen würdest.“
„Ich bin nicht gekommen, um wieder gehen, sondern um einen schönen Abend mit dir zu verbringen.“ Mit ein bisschen Wein, ein bisschen vögeln ... ein bisschen mehr Wein, noch ein bisschen mehr vögeln. Aber vorher musste Hannes aus dieser Stimmung raus.
„Du sagst, du hast Schatten gesehen, um dich orientieren zu können. Aber ohne Licht kannst du die nicht sehen. Es ist dunkel, Mann. Draußen ist fast Nacht und du hast kein Licht angeschaltet.“
„Kein Licht?“, fragte Hannes fassungslos.
„Keine Umrisse ohne Lichtquelle.“
Hannes schüttelte den Kopf. „Ich habe es vergessen.“
„Eben. Und jetzt holst du es nach.“ Hoffentlich sah er dann etwas. Was, wenn nicht? Dann würden sie den Wein zusammen kippen und danach würde er ihn verführen. Sex half immer. Und wenn es Hannes wenigstens für ein paar Momente die Anspannung nahm, die sich in seinem Gesicht abzeichnete.
Finn führte ihn zum Schalter. „Hand ausstrecken und Wand abtasten. Wir stehen direkt davor.“
Hannes gehorchte. Seine Finger glitten über die Raufasertapete, streiften den glatten Plastikrahmen, fanden den Schalter und drückten. Neben dem Bett ging eine Stehlampe an. Ziemlich hell für so ein Ikea-Papier-Ding. „Dreh dich zum Licht.“
Hannes schloss die Augen. „Und wenn da nichts ist?“
„Dann bin ich noch da und helfe dir über die Enttäuschung hinweg. Magst du Bardolino?“
Hannes lachte nervös. „Geht so.“
„Magst du braunhaarige Männer, die an den wichtigsten Stellen rasiert sind?“ Mann, wagte er sich weit vor. Wenn der Korb kam, musste er ihn eben hinnehmen. Wenigstens lachte Hannes schon entspannter. „Du hast braune Haare?“ Er tastete sich über Finns Schulter zum Nacken vor und wuschelte etwas in seinen Strähnen. „Fühlt sich gut an. Nicht so kurz.“
Gut, dass er den Friseur für heute gestrichen hatte.
Hannes ließ seine Hand in Finns Nacken liegen. „Ich bin nicht auf braunhaarig festgelegt aber dich würde ich auch mögen, wenn du grüne Haare hättest. Einfach weil du jetzt hier bist und deine Stimme es schafft, meine Nerven im Zaum zu halten.“
Dafür musste er ihn einfach umarmen. Nicht hektisch, immerhin sah Hannes ja nicht, woher der Übergriff kam. Aber langsam. Er strich mit beiden Händen über Hannes Schultern bis zum Rücken. Dann zog er ihn an sich und hielt ihn fest. Er spürte Hannes Herzschlag durch sein Hemd. „Sag, wenn du bereit bist. Und keine Angst. Du kannst es jetzt eh nicht mehr ändern. Wenn alles dunkel bleibt, wirst du eines Tages damit fertig werden.“ Und er würde ihm dabei helfen. Es würde schon irgendwie gehen.
„Okay.“ Hannes nickte entschlossen und seine Wange streifte über Finns. Die Stoppeln kratzen ihn aber das war jetzt egal. Finn ließ ihn los, Hannes drehte sich um.
„Und?“
„Hell.“
Gott sei Dank.
„Bleib stehen und sieh weiter zum Licht.“ Finn stellte sich direkt vor die Lampe. „Was siehst du jetzt?“
„Was Dunkles vor dem Hellen“, kam es wie aus der Pistole geschossen.
„Gut. Das Dunkle bin ich.“
Hannes atmete laut ein. „Danke.“ Mehr sagte er nicht. Das war auch nicht nötig. Er ging zögernd auf Finn zu, berührte sein Gesicht.
„Denkst du, ich sollte diesem hier noch eine zweite Chance geben?“ Mit einer fahrigen Geste zeigte er um sich. Finn fing Hannes Hand ein. Sie war kalt und fasste sofort zu. „Klar solltest du das. Vergiss nur nicht, abends das Licht anzuschalten.“
„Das werde ich nie wieder.“ Für ein Lächeln brauchte er zwei Anläufe. „Ich will nicht nichts sehen. Ich brauche die Konturen, ich brauche die Schatten, sonst ...“ Er brach ab und senkte den Kopf.
Konnte Hannes für diese Nacht nicht verdrängen, dass er blind war? Konnte er nicht einfach die Augen schließen und sich von ihm lieben lassen? Er war so verlockend nah. Die letzte Spur seiner Angst haftete noch seinen Zügen an, verlieh ihm etwas, das Finn in sich
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