Hautnah
Erwachsenenperspektive auf sie herabgeschaut hatten, als sei sie eine vollkommen andersgeartete Lebensform, etwas, das auf einer viel niedrigeren Evolutionsstufe angesiedelt war. Genau so fühlte sie sich jetzt wieder.
»Nun, Liebes«, sagte Betty, die aufstand und in die Hände klatschte, so dass sich ihr prächtiger Kimono ausbreitete wie die Schwingen eines großen Raubvogels. »Dann wollen wir doch mal schauen, wie es dem süßen kleinen Jack mit den kuschligen kleinen Kätzchen ergangen ist.«
30
S ean lenkte den Nissan vom Weg aufs weiche Gras neben dem Teich. Er schaltete den Motor aus und drehte sich lächelnd zu Bella um.
»Hi, Liebling, ich bin zu Hause.« Er zog sie an sich, um sie zu küssen.
»Schwimmen?«, fragte sie.
»Aber klar.«
Sie stiegen aus, und Sean holte Decken, Bier und das Picknick aus dem Kofferraum. Hand in Hand gingen sie um den Teich herum – den man in England als See bezeichnet hätte – bis zur anderen Seite. Am Rande eines Stegs, an dem ein rundes Schlauchboot festgebunden war, breitete Sean auf der mit Blättern übersäten Erde die Decke aus. Bei ihrem ersten Besuch hatten sie sich im Schlauchboot bis zur Mitte treiben lassen. Sie hatten sich den ganzen Nachmittag lang langsam und genüsslich geliebt, sich in der Sonne geaalt und zwischen Forellen und Ochsenfröschen gebadet, die das kühle, von Steinen eingefasste Gewässer bewohnten.
Anfangs hatte Bella Angst gehabt, dass man sie stören könnte, aber Sean hatte ihr versichert, dass an Wochentagen nie jemand an den Teich kam. Außerdem lag er fünf Meilen außerhalb des Ortes, zwei Meilen abseits der Straße und auf einem Privatgrundstück, so dass keine Gefahr bestand, dass jemand zufällig auf sie stieß. Dies war ihr zweiter, und mittlerweile fand sie nichts mehr dabei, mit ihrem Freund nackt auf der Decke in der Sonne zu liegen und ihn den ganzen Nachmittag lang zu küssen, zu streicheln und ihm verliebt ins Ohr zu flüstern. Es war wie im Garten Eden.
Sie rissen sich die Kleider vom Leib, rannten Hand in Hand über den Steg und warfen sich ins Wasser, wo sie zum ersten Mal an diesem Nachmittag Sex hatten. Wilden, ungezügelten Sex, nach dem sie sich gesehnt hatten, seit Sean vor ihrem alten Gruselhaus vorgefahren war.
Auf der Fahrt, während auf dem alten Kassettenrekorder Sufjan Stevens seine entspannten Songs spielte, hatte Sean ihr die Geschichte vom Larssen-Haus erzählt – von dem alten Mann, den menschenfressenden Hunden und der geisteskranken Schwester. Bella hatte vor Staunen ganz große Augen gemacht.
»Nicht im Ernst?«, hatte sie gesagt. »Das ist ja der totale Wahnsinn.«
»Ich liebe dich«, sagte er, als sie einige Zeit später auf der Decke lagen und die Wärme von ihrem Liebesspiel sich in ihren Körpern ausbreitete, während sie eisgekühltes Bier tranken. Eine Libelle schillerte über die jadegrüne Oberfläche des Teichs. »Ich möchte mein Leben mit dir verbringen«, flüsterte er ihr ins Ohr.
»Ich mit dir auch.« Bella zog ihn an sich und drückte ihn an ihre Brust.
Sean war vernünftig, einfühlsam, ernst und zu hundert Prozent verlässlich – vollkommen anders als jeder andere Junge, den sie bisher getroffen hatte. Hätte jemand ihr gegenüber solche Eigenschaften angepriesen, bevor sie Sean begegnet war, hätte sie bloß gegähnt und sie als langweilig abgetan. Aber bei ihm waren sie alles andere als langweilig.
Olly hatte immer diese Vorstellung gehabt, dass sie zwei Hälften ein und derselben Person seien. Ständig hatte er davon geredet, schon als sie noch ziemlich jung gewesen waren. Sie hatte ihm die Theorie nie so ganz abgekauft, und als die Dinge zwischen ihnen dann immer komplizierter geworden waren, hatte sie sie sogar offen zurückgewiesen, weil in ihr der Verdacht aufgekeimt war, dass sie durchaus ein von ihm unabhängiges, selbständiges Wesen sein konnte.
Durch Sean war ihr klargeworden, dass sie zwar grundsätzlich ein ganzer Mensch war, dass er aber trotzdem zu ihr passte – nicht nur körperlich, sondern in jeder Hinsicht. Er vervollständigte sie auf eine Art, wie Olly sie niemals vervollständigen würde, ganz egal, wie sehr er sie auch damit bedrängte.
Sie fühlte sich durch und durch warm, wie Karamell. Die Sonne, die zwischen den großen Blättern der Bäume am Teich hindurchblinzelte, warf Sprenkel auf ihre nackte Haut, und die stille Hitze, die leichte Benommenheit vom Bier und das saubere, wie geschrubbte Gefühl nach dem Sex im Wasser ließen sie
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