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Hautnah

Hautnah

Titel: Hautnah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Crouch
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anderen Seite. Sie sah zu ihm auf. Nichts ließ darauf schließen, dass er etwas mitbekommen hatte. Dennoch war sich Lara bewusst, dass sie selbst auf einem Drahtseil balancierte und besser achtgeben musste.
    »Ist das nicht einmalig?«, fragte sie. Zu ihrer Erleichterung nickte Olly.
    »Besser als Dads ätzender Kram«, antwortete er und schaute zu den zwei Körpern empor, die sich fünf Meter über ihnen ineinander verknoteten. »So was will ich auch mal machen«, fügte er stöhnend hinzu.
    »Erst kommt der Schulabschluss«, erwiderte sie.
    Nach dem Ende der Vorstellung strömten die Zuschauer aus dem stickigen Zelt in die kühle Nachtluft hinaus. Der Rhythmus der Band pulste noch durch ihre Adern. Als sie über das stoppelige Gras zum Parkplatz gingen, drehte sich ein Paar, das sie gerade überholte, nach ihnen um und starrte Stephen an.
    »Er ist es wirklich «, sagte die Frau. »Wenn ich es dir sage.«
    »Hey, Olly, kann ich meinen Hut wiederhaben?«, bat Stephen und setzte die Brille auf. »Da habe ich doch glatt für einen Moment vergessen, dass ich kein normaler Sterblicher bin«, setzte er, an Lara gewandt, hinzu, die seinen Arm drückte. »Dass ich ein Mensch mit zwei Köpfen bin.«
    Olly wollte den Hut abnehmen.
    »Scheiße«, fluchte er, als sich seine Locken in der Schnalle zur Weitenregulierung verfingen. Das Pärchen vor ihnen war stehen geblieben, und die Frau debattierte mit ihrem Mann darüber, ob sie zurückgehen und Stephen ansprechen sollte.
    »Nicht zerren«, sagte Lara, doch Olly riss sich mit Gewalt den Hut vom Kopf, so dass ein Haarbüschel hängen blieb.
    »Autsch. Mist«, sagte er.
    Mit Hut und dicker Brille war Stephen eine vollkommen andere Person.
    »Schatz, ich denke, wir sollten unseren Kleinen jetzt nach Hause bringen. Er muss schleunigst ins Bett«, sagte er in seinem cremigen Südstaatenakzent und legte den Arm um Lara, als sie sich dem neugierig schauenden Paar näherten.
    »Irgendjemand hier muss mal zum Augenarzt«, meinte der Mann zu seiner Frau, als sie an ihnen vorbeigingen.
    »Ach, du«, hörten sie sie hinter sich sagen.
    »Und der Oscar für die Rolle als Familienvater vom Lande geht an Stephen Molloy«, verkündete Olly, sobald Stephen den Motor des Wrangler angelassen hatte.
    Stephen hatte eine CD mit der Musik aus der Show gekauft, und sie fuhren unter einem mit strahlenden Sternen bedeckten Himmel dahin und sangen »I. Will. Not. Be-Good«, so laut ihre Lungen es hergaben. Jack, der die Vorstellung von der ersten bis zur letzten Minute genossen hatte, sang am lautesten. Halb schrie er die Worte heraus, halb verschluckte er sie in gurgelndem Gelächter. Zum ersten Mal seit langem hatte Lara das Gefühl, vollkommen im Moment zu leben, ohne den Wunsch, irgendwo anders zu sein. In Gedanken spann sie die Szene, die Stephen auf dem Parkplatz angedeutet hatte, weiter und malte sich aus, dass sie tatsächlich eine Familie wären, die zu ihrem Haus im Wald zurückkehrte, wo sie alle zusammen lebten. Sie stellte sich vor, sie befände sich außerhalb des Autos. Wie fröhlich sie klingen mussten, wie sie laut singend die Straße entlangfuhren.
    »Verdammte Scheinwerfer«, sagte Stephen.
    Lara sah sich um. Direkt hinter ihnen war ein Auto. Es fuhr so dicht auf, dass es fast ihre Stoßstange berührte. Die Frontscheinwerfer waren auf Fernlicht geschaltet und blendeten Stephen. Er kippte den Innenspiegel in die Abblendposition, trotzdem konnte er nur mit Mühe sehen.
    »Verdammt«, sagte er. »Festhalten.«
    Das andere Auto setzte zum Überholen an, allerdings kam es ihnen dabei seitlich immer näher, bis es sie schließlich rammte. Lara sah an Stephen vorbei auf den aggressiven Fahrer. Entsetzt stellte sie fest, dass es derselbe graubraune Wagen war, der sie und Jack um ein Haar überfahren hätte; derselbe Wagen, den sie bei Pretty Fly Pie hatte anhalten wollen … Die getönten Scheiben ließen nur die Silhouette des Fahrers erkennen, aber es war unverkennbar eine Frau. Es war Elizabeth Sanders, und es war sonnenklar, dass sie ihrer Drohung Taten folgen lassen wollte.
    »Hauen Sie ab!«, rief Stephen. »Lassen Sie mich in Ruhe!«
    Sie holperten weiter, halb auf der Fahrbahn, halb auf dem Randstreifen. Wenige hundert Meter vor ihnen tauchte die Brücke auf, die sie auf der Hinfahrt überquert hatten. Wenn sie so weiterfuhren, würden sie abstürzen und im Fluss landen.
    »Bremsen!«, schrie Lara und klammerte sich mit weißen Knöcheln ans Armaturenbrett. Gerade noch rechtzeitig

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