Hautnah
Aber apropos Bert: Er schläft gerade, deshalb wollte ich dich fragen, ob du Lust hast, auf einen Kaffee vorbeizukommen?«
»Nichts lieber als das. In zehn Minuten sind wir da.« Die Zwillinge hatten sich noch nicht blicken lassen, und Lara war nicht gerade wohl bei der Vorstellung gewesen, den ganzen Vormittag lang mit Jack wie zwei Zielscheiben im Haus herumzusitzen.
»Na, dann bis gleich.«
»Siehst du, ich habe die Wunde gesäubert, so schlimm ist es gar nicht.« Lara hob ihren Rock, um Gina ihre Knie zu zeigen.
»Das war total verrückt«, sagte Gina. »Du warst so wütend. Und was ich nicht begreife: Warum sollte diese Frau die Sachen fremder Leute aus dem Waschsalon klauen?«
Lara blickte in ihre Tasse und biss erneut von ihrem Kirsch-Walnuss-Keks ab, den Gladys ihr angeboten hatte, bevor sie mit Jack zum Spielen nach oben verschwunden war.
»Und wer war der geheimnisvolle Mann?«, wollte Gina wissen.
»Was?«
»Der Typ, mit dem Simon euch gestern Abend gesehen hat. Er meinte, als er auf euch zugekommen ist, hätte er sich gewissermaßen in Luft aufgelöst.«
»Ach, bloß ein alter Freund, den ich zufällig getroffen habe.«
»Du hast hier einen alten Freund getroffen?«, hakte Gina nach. »Na, das nenne ich aber Zufall.«
»Ja. Kann man wohl sagen«, erwiderte Lara. Sie saßen hinter dem Haus im Schatten. Der Himmel war blau und die Luft überraschend klar. Eine kühle Brise strich an der Seite des Hauses entlang zu ihnen herüber, so dass Lara in ihrer Tasche nach der Strickjacke suchen musste. Sie zog sie an, verschränkte die Arme, lehnte sich zurück und sah den Bäumen dabei zu, wie sie sich im Wind wiegten.
»Ist zu dem Thema noch mehr aus dir herauszubekommen?«, fragte Gina und versuchte, ihr in die Augen zu sehen.
Lara schüttelte den Kopf. Als sie in die freundlichen Augen ihrer Freundin blickte, wäre sie beinahe in Tränen ausgebrochen. »Ich würde es dir so gerne sagen. Aber das geht nicht. Es ist … zu kompliziert.«
»Das macht doch nichts.« Gina legte ihr die Hand aufs Knie. »Du musst es mir nicht sagen, wenn du nicht willst.«
»Ich kann nicht.« Lara zwang sich zu einem Lächeln, obwohl ihre Augen überzuquellen drohten. »Glaub mir, wenn ich es sagen dürfte, wärst du die Erste, die es erfährt.«
»Es hat nicht zufällig mit einem gewissen berühmten britischen Schauspieler zu tun, der ›inkognito‹ da draußen im Wald wohnt?« Gina zeigte in die Richtung, in der Stephens Haus lag.
Hätte Gina ihr eine Ohrfeige verpasst, wäre Laras Entsetzen nicht größer gewesen.
Gina lachte. »Tja, manche Geheimnisse sind eben nicht ganz so geheim, wie die Leute gerne glauben möchten. In Trout Island spricht sich alles schneller herum, als man gucken kann. Es wird zu einem Gerücht, und das Gerücht wird dann immer weiter ausgeschmückt. Mein Haus steht mitten im Zentrum, das bedeutet, ich weiß über alles Bescheid. Denk nur immer daran und sei ein bisschen vorsichtig, ja?«
Lara nickte. Aber was genau meinte Gina damit? Weswegen sollte sie vorsichtig sein? Wegen der Gerüchte oder weil Gina über alles Bescheid wusste?
O nein, dachte Lara, als sie mit Jack durch den Garten zum Haus ging. An der Tür klebte ein an sie adressierter Umschlag.
Vom Rasen aus hielt sie nach unangenehmen Überraschungen wie Tierkadavern oder Fäkalien Ausschau, aber die Veranda war leer. Sie stieg die Stufen hoch und riss den Umschlag von der Tür, als wäre er eine Brennnessel, die man mit festem Griff anfassen musste.
Im Umschlag fand sie, in einer vertrauten Handschrift, bei deren Anblick ihr sofort das Blut in die Wangen schoss, folgende Nachricht vor:
Heute Blaubeeren pflücken? Mit Kindern. Hole Dich um 14.00 Uhr ab. Sx
Sie spürte das altbekannte Flattern in der Magengegend, das Stephen in ihr auslöste. Es war erst halb eins. Wie um alles in der Welt sollte sie es fertigbringen, noch ganze anderthalb Stunden zu warten?
»Mummy, ich bin müde«, sagte Jack. Das war nicht weiter verwunderlich, schließlich hatte er den ganzen Vormittag lang als Ballettschul-Anziehpuppe für Ginas Töchter herhalten müssen, einschließlich Tutu, Rouge und allem, was dazugehörte.
»Warum legst du dich nicht auf die Hollywoodschaukel?«, schlug Lara vor. »Hier draußen ist es schön kühl.«
Sie half ihm dabei, es sich bequem zu machen, und schüttelte die Kissen auf, damit er sich lang ausstrecken konnte. Dann sperrte sie die Haustür auf, betrat den Flur, den Ort des Verbrechens, und rief die
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