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Hautnah

Hautnah

Titel: Hautnah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Crouch
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so lebendig, und zugleich so zerbrechlich. Sie hätte es einfach auf den Boden werfen können und …
    »Ahhh, ein Baby.« Jack streckte die Hand aus.
    »Ja. Ein Baby«, brachte Lara hervor. Sie legte sich das Baby an die Schulter und vollführte den kleinen wiegenden Tanz, den jede Mutter kennt. Sanft schaukelte sie es auf und ab und klopfte ihm dabei auf den Rücken, um es in seiner wie auch immer gearteten Not zu trösten. Sie achtete darauf, durch den Mund zu atmen, damit sie sein köstliches kleines Köpfchen nicht riechen musste.
    Das wäre vollends unerträglich gewesen.
    Während Lara das Baby hielt, passierten ihre Einkäufe die Kasse. Auf der anderen Seite packte ein pickliger Junge mit niedriger Stirn, der ungefähr in Ollys Alter sein musste, alles ein, wobei er jeweils nur ein oder zwei Artikel in eine der dünnen Plastiktüten steckte, die an einem metallenen Karussell hingen. Hätte Lara nicht das Baby im Arm gehabt, dann hätte sie sich gefragt, ob sie ihm nicht vielleicht helfen sollte. Er verbrauchte definitiv zu viele Tüten. Und wurde etwa von ihr erwartet, dass sie ihm ein Trinkgeld gab?
    »So, das war’s!«, verkündete er, sah auf und schenkte ihr ein argloses Lächeln, das schiefe gelbe Zähne entblößte. Lara staunte. Sie hatte gedacht, alle Amerikaner würden zum Kieferorthopäden geschleift, kaum dass sich ihr letzter bleibender Backenzahn zeigte.
    »Ah, hm …« Mit dem Baby auf dem Arm versuchte Lara, in ihrer Handtasche nach dem Portemonnaie zu kramen.
    »Ich nehme ihn jetzt wieder. Vielen, vielen Dank.« Die schicke junge Mutter streckte die Arme nach ihrem Kind aus.
    Lara zahlte mit Kreditkarte.
    »Schönen Tag noch!«, wünschte die Kassiererin mit einem strahlenden Lächeln.
    »Schönen Tag noch!«, sagte der Einpacker und schnitt eine Grimasse.
    »Danke«, nuschelte Lara. Dann schob sie ihren Einkaufswagen hinaus auf den schwülen Parkplatz, heilfroh, dem Baby endlich entkommen zu sein.
    Sie fand das Alkoholgeschäft, in dem sie – unter missbilligenden Blicken des bärtigen Ladenbesitzers – ein Dutzend verschiedene Flaschen kalifornischen Rot- und Weißwein erstand. Er wollte sogar ihren Ausweis sehen, was sie angesichts ihrer sechsunddreißig Jahre als Kompliment zu betrachten beschloss. Dann schob sie den Einkaufswagen zurück über den glühend heißen Asphalt. Die Flaschen standen neben den Plastiktüten mit den Einkäufen in ihrem Karton und stießen klirrend gegeneinander. Wieder vor dem Supermarkt angekommen, stand ihr Auto nicht dort, wo sie es vermutet hatte.
    »Scheiße«, sagte sie zu Jack.
    Sie spürte Panik in sich aufsteigen. Wenn der Wagen gestohlen worden war, würden sie saftige eintausend Dollar Selbstbeteiligung für die Versicherung auf den Tisch legen müssen. Ihre Gedanken wanderten zurück zu der getuschelten Diskussion, die sie mit Marcus am Mietwagenschalter in Newark geführt hatte. Sie hatte gemeint, dass es angesichts des kostenlosen Upgrades nur vernünftig sei, die zusätzlichen siebzig Dollar für eine Vollkaskoversicherung ohne Selbstbeteiligung zu zahlen, schließlich würden sie einen teuren Wagen auf der falschen Seite der Straße fahren. Marcus hatte dagegengehalten, dass sie eben einfach vorsichtig fahren müssten, da der verdammte Wagen plus Kindersitz sie ohnehin schon ein Vermögen koste, Upgrade hin oder her. Nun fürchtete Lara, dass diese Sparmaßnahme, wie so viele, die Marcus durchsetzte, sie am Ende teuer zu stehen kommen würde.
    »Wo ist unser Auto, Jack?«, fragte sie. Jack drehte sich auf seinem Sitz im Einkaufswagen um. Die Sonne brannte durch die Dunstglocke auf sie nieder, und Lara fiel ein, dass sie ihn hätte eincremen müssen – zwischen seinen Sommersprossen waren bereits vereinzelt rote Stellen zu sehen. Sie passten zur Farbe seiner Augen, die erneut angeschwollen waren. Sie zog seine Baseballkappe tiefer, damit sein Gesicht besser abgeschirmt war. Sie selbst spürte die ersten Vorboten eines Kopfschmerzes.
    »Da, Mummy, schau!« Mit seinem kleinen Finger zeigte Jack ans andere Ende der flimmernden Asphaltfläche. Hätte man durch das Supermarktgebäude samt Parkplatz genau in der Mitte eine Linie gezogen, wäre der tatsächliche Standort des Chevy genau spiegelverkehrt zu dem Platz gewesen, an dem Lara glaubte, ihn abgestellt zu haben.
    »Das ist ja komisch«, sagte sie kopfschüttelnd. »Ich war mir sicher, ich hätte da drüben geparkt.«
    »Dumme Mummy.« Jack kicherte.
    »Ja, dumme Mummy. Ich muss verrückter

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