Hautnah
sein, als ich dachte.«
Sie schob den Einkaufswagen über den Parkplatz. Mittlerweile machte sie sich größere Sorgen um das Schicksal der gekauften Eiscreme als darum, dass ihr nicht mehr eingefallen war, wo sie das Auto abgestellt hatte. Ohnehin war es nicht das erste Mal – zu Hause vergaß sie ständig, wo sie den Volvo geparkt hatte –, und in diesem Fall konnte sie immerhin den Jetlag als mildernden Umstand anführen.
»O nein«, rief sie, als sie sich dem Wagen näherten.
»Wie doof«, sagte Jack.
Der Vorderreifen auf der ihr zugewandten Seite hatte keine Luft mehr.
»Ich fasse es nicht.«
Sie hob Jack aus dem Einkaufswagen, und gemeinsam beugten sie sich herunter, um den Platten zu inspizieren.
»Was mache ich denn jetzt?«
Jack hob die Schultern.
»Kann ich Ihnen helfen, Ma’am?« Hinter ihr war ein großer Wachmann in khakifarbener Uniform aufgetaucht.
»Ich habe einen Platten«, erklärte Lara, richtete sich auf und strich sich eine Haarsträhne aus dem Auge.
Der Wachmann ging in die Hocke, um sich den Reifen genauer anzusehen, und Lara fragte sich, wo sie den Mann schon mal gesehen hatte. Irgendetwas an der Form seiner Schultern kam ihr bekannt vor. Dann musste sie schmunzeln. Langsam fing sie wirklich an zu spinnen; erst vergaß sie, wo ihr Auto stand, und dann bildete sie sich allen Ernstes ein, den Wachmann eines Supermarkts irgendwo im hintersten Winkel von New York zu kennen.
»Ein Nagel«, stellte der Wachmann fest. Als er aufstand, hielt er den Übeltäter zwischen seinen langen Fingern.
Lara sah ihr Spiegelbild in seiner Pilotensonnenbrille. Natürlich irrte sie sich. Sie hatte diesen Mann noch nie zuvor gesehen. Die Nase, die Gesichtsform, die dunkle Haut. Nichts davon kam ihr bekannt vor.
»Ich kann jemanden anrufen, der das in Ordnung bringt«, bot er ihr an.
»Das ist sehr nett von Ihnen«, erwiderte Lara. Und als der Wachmann sein Handy aus der Jackentasche zog, fiel ihr ein, an wen er sie erinnerte. Irgendetwas an seinem Körperbau, daran, wie er sich bewegte, hatte Ähnlichkeiten mit Olly. Das war es.
Während er telefonierte, ging der Wachmann einmal um den Wagen herum.
»Sie haben hier noch zwei Platten, Ma’am«, verkündete er und zeigte auf die zwei Reifen, die Lara von dort, wo sie stand, nicht sehen konnte.
»Mein Gott«, sagte Lara. »Ich muss ja durch einen ganzen Nagelhaufen gefahren sein.«
»Er ist in einer Stunde hier«, verkündete der Wachmann und steckte sein Handy weg.
»In einer Stunde? Ich glaube nicht, dass meine Einkäufe bei der Hitze so lange durchhalten.«
»Wenn ich mich nicht irre, ist Ihr Modell vom Werk aus mit einem Kühlschrank ausgestattet.« Der Mann legte einen Arm auf das Dach des Chevy. Lara sah den dunklen Schweißfleck in der Achsel seines khakifarbenen Hemdes.
»Wirklich?«, fragte Lara. »Ich habe keine Ahnung. Das ist ein Mietwagen.«
»Geben Sie mir den Schlüssel«, bat er, und ohne groß nachzudenken, gehorchte Lara. »Sehen Sie?« Er winkte sie nach hinten, damit sie die schwarze Truhe im Kofferraum begutachten konnte. Er öffnete den Deckel, nahm Laras Handgelenk und hielt ihre Hand in die Truhe, so dass sie die Kälte spüren konnte. »Hören Sie das Summen? Nachdem man den Motor ausgestellt hat, läuft er noch eine Stunde weiter.«
»Danke.« Lara zog ihren Arm zurück. Sie wollte ihren Einkaufswagen holen, doch der Mann kam ihr zuvor. »Das geht schon«, wiegelte sie ab, als er anfing, ihre Einkäufe auszuladen, wobei er jede Tüte öffnete, den Inhalt durchsuchte und die verderblichen Waren in der Kühltruhe verstaute. »Das schaffe ich jetzt schon alleine.«
»Sie trinken wohl gerne ein Gläschen, Ma’am«, stellte er fest, ihren Einwand ignorierend, und hievte die Flaschenkiste aus dem Einkaufswagen.
Allmählich wurde Lara unbehaglich zumute. Überschritt dieser Mann nicht die Grenzen der Hilfsbereitschaft und drang in ein ganz anderes Territorium vor? Oder bewies er, genau wie die junge Kassiererin und der Einpacker, lediglich, wie selbstverständlich diese Art von Freundlichkeit für Amerikaner war? Sie ging zu Jack, der damit beschäftigt war, seinen neuen Ball auf einem Stück verkümmerten Rasen neben dem Parkplatz herumzukicken, und nahm ihn auf den Arm.
»Vielen Dank«, sagte sie, als der Wachmann die letzten Einkäufe in den Kofferraum hob. »Ich glaube, wir setzen uns jetzt in den Wagen und schalten die Klimaanlage ein.« Sie streckte die Hand nach dem Autoschlüssel aus.
»Gute Idee, Ma’am.«
Weitere Kostenlose Bücher