Hautnah
Trudi behauptet hatte, sie dürfe ihm nie im Haushalt helfen, weil er alles lieber selber mache. Sie fragte sich, wie die Küche aussehen würde, wenn Marcus allein lebte.
Im Essbereich stand ein langer Tisch aus dunkler Eiche; ein großer schwarzer Holzofen und zwei ausladende Sofas dominierten den Wohnbereich des Raums. Elegant verschlissene Perserteppiche lagen auf dem dunklen Holzboden, und Bücherregale säumten sämtliche Wände. In den wenigen freien Wandflächen dazwischen hingen moderne Gemälde. Bella und Olly sahen sich im Raum um wie zwei Kleinkinder in einem Zimmer voller neuer Spielsachen.
»Ist das ein Pollock?«, fragte Bella und ging zu einem länglichen Bild voller Farbspritzer.
»M-hm. Und das da ist ein Kline.« Stephen zeigte zu einem Block aus Schwarz und Weiß.
»Alice Neel«, rief Bella und ging weiter zum Gemälde einer schwangeren Frau, die auf einem Bett lag. »Ich liebe Alice Neel«, erklärte sie Stephen. »Ich war mit meiner Klasse in der Ausstellung in Whitechapel.«
»Normalerweise bin ich eher ein Freund des abstrakten Expressionismus«, sagte Stephen. »Aber irgendwas an ihr fasziniert mich …«
»Was ist denn das?«, fragte Olly und drückte sich die Nase an einer in die Wand eingelassenen gläsernen Vitrine platt. Darin saßen verschiedene ausgestopfte Vögel in kleinen Dioramen, die, so vermutete Lara, ihrem natürlichen Lebensraum nachempfunden waren. Sie gesellte sich zu ihrem Sohn und schaute mit ihm durchs Glas. Da waren ein leuchtend blauer Vogel, wie sie ihn beim Joggen gesehen hatte, und ein Kolibri mitten im Flug, der über der Nachbildung einer Blume schwebte.
»Taxidermie«, erklärte Stephen. »Solche Vögel kann man hier in jedem Antikladen bekommen.«
»Cool«, sagte Olly, schob sich einen Streifen Kaugummi in den Mund und begann, wie ein Wilder zu kauen. Lara sah, wie Marcus sich versteifte. Was Kaugummi anging, gab es bei ihm klare Regeln.
»Das ist meiner.« Stephen zeigte auf den blauen Vogel. »Er wurde überfahren. Ich habe ihn eines Tages auf dem Weg zum Haus gefunden und mich selbst an der Präparation versucht. Könnte besser sein. Möchte jemand etwas zu trinken?«
»Ja, gern«, sagte Lara. Das Haus hatte sie ganz schwindlig gemacht vor Staunen. Zwar passte der Mann, der unsichtbare Krümel vom Küchentresen wischte, sowohl zum Stephen Molloy, den sie einst geliebt hatte, als auch zum berühmten Hollywoodschauspieler. Vieles andere jedoch – die Kunst, das Kochen, die vielen Bücher – hatte sie vollkommen überrascht. All diese Vorlieben und Gewohnheiten hatte er sich erst nach ihrer Trennung zugelegt. Da sie ihn ständig in den Medien gesehen hatte, war sie fälschlicherweise davon ausgegangen, er sei noch genau derselbe Mensch wie früher.
»Was ist die Droge deiner Wahl?«, wollte Stephen von ihr wissen.
»Hast du Rotwein da?«, fragte Lara und hockte sich auf die Rückenlehne eines der Sofas.
»Für mich auch«, bat Marcus.
»Kinder, schaut mal im Kühlschrank nach und sucht euch was aus«, sagte er zu Bella und Olly. »Es gibt Limo oder Saft. Und könnt ihr mir bei der Gelegenheit vielleicht eine Bio-Cola mitbringen?«
»Du trinkst nicht?«, fragte Lara. Auch das war neu.
»Ich mache mir nichts aus Alkohol«, erwiderte Stephen. »Oder vielmehr: Ich mache mir zu viel aus ihm. Es war ziemlich schwer, ihn loszuwerden.«
»Stört es dich nicht, wenn wir trinken?«
»Überhaupt nicht. Es ist ein bisschen wie Passivrauchen – ein Vergnügen zweiten Grades für den Abstinenzler.« Er goss zwei große Gläser Rotwein ein und reichte sie Marcus und Lara. »Probiert den mal. Francis Ford Coppola hat ihn gekeltert. Natürlich nicht eigenhändig. Man hat mir gesagt, dass er sehr gut sein soll.« Lara spürte, wie sein Knöchel ihren streifte, als er ihr das Glas gab. »Riechen tut er schon mal ganz fantastisch.«
»Nur eins«, sagte Marcus. »Dann höre ich auf.«
Stephen nahm ein Tablett mit mehreren Schüsseln voller Oliven und Chips. Dann führte er sie durch eine Fliegengittertür, die hinter ihnen mit einem Pistolenknall ins Schloss fiel, so dass Lara zusammenfuhr, nach draußen auf die Veranda. Bella, Olly und Jack folgten, und sie alle setzten sich an einen verwitterten Holztisch. Lara fiel auf, wie sich die geschwungene Lehne ihres Stuhls an ihren Rücken schmiegte. Sie passten perfekt zusammen.
Jack machte sich von Bella los und kletterte auf den Schoß seiner Mutter. Er kuschelte sich an sie und begann, sich eine ihrer
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