Hautnah
hinter ihr zu, so dass es ihr vor Schreck in den Wangen kribbelte. Der Deckenventilator drehte sich und sorgte im Innern des Hauses für Kühle, und was auch immer im Ofen schmorte, duftete nach Nachhausekommen. Stephen hatte wirklich ein Gespür für solche Dinge. Sein Haus war gemütlich und aufgeräumt. Und dass ein Mann mit einer Flasche Vanish umgehen konnte – allein schon, dass er eine besaß –, brachte sie zum Staunen. Hätte sie es nicht besser gewusst, dann hätte sie glatt auf die Idee kommen können, dass an den Gerüchten über Stephen Molloys angebliche Homosexualität, die gelegentlich durch einschlägige Klatschblätter geisterten, wie sie im Wartezimmer ihres Zahnarztes auslagen, tatsächlich etwas dran war. Stattdessen war er ein erfreuliches – wenngleich seltenes – Beispiel dafür, dass auch ein heterosexueller Mann in Haushaltsdingen bewandert sein konnte.
Was wäre wenn , hatte er gesagt.
Verrannte sie sich da nicht in etwas? Aber was, überlegte sie, während sie die quadratische Wendeltreppe aus dunklem, blankpoliertem Holz hinaufstieg, die in der Mitte des großen Raums nach oben führte – was, wenn sie damals nicht festgestellt hätte, dass sie von Marcus schwanger war? Was, wenn es die Zwillinge nie gegeben hätte?
Sie blieb auf dem mittleren Treppenabsatz stehen, hielt sich Stephens Hemd ans Gesicht, schloss die Augen und atmete seinen Duft ein. Er war die Liebe ihres Lebens gewesen. Sie hatte es damals gewusst, und mittlerweile war ihr aufgegangen, dass sie es immer noch wusste.
Aber vielleicht wäre es ja ganz anders gekommen, wenn sie sich nicht getrennt hätten. Ihr fiel eine Anekdote über Hillary Clinton aus der Zeit vor Monica Lewinsky ein, wie sie zufällig an einer Tankstelle vorbeigekommen war, an der ein Exfreund von ihr arbeitete. »Stell dir mal vor«, hatte der Exfreund gesagt, »wenn du mich geheiratet hättest, dann wärst du jetzt die Frau eines Tankstellenwärters.«
»Wenn ich dich geheiratet hätte«, hatte Hillary ihn korrigiert, »dann wärst du jetzt Präsident der Vereinigten Staaten.«
Lara wäre vermutlich eine umgekehrte Hillary Clinton gewesen. Sie hätte Stephens Aufstieg behindert, und Marcus wäre zum Star geworden. Trotzdem – vielleicht wären so alle glücklicher gewesen?
Sie stieg die restlichen Stufen hinauf und fand Stephens Schlafzimmer. Es roch so stark nach ihm, dass sie erneut die Augen schloss und tief einatmete. Ein großes Kingsize-Bett, mit glattem, frischem Damast faltenfrei bezogen, stand mittig an der hinteren Wand. Auf dem Nachttisch daneben lag ein Stapel Bücher, größtenteils Romane: Roth, Bellow, Updike.
Lara entledigte sich ihres rotz- und weinfleckigen Oberteils. Eigentlich hatte sie vorgehabt, sich nur rasch umzuziehen und danach gleich wieder nach unten zu gehen. Aber sie musste zur Toilette, und ans Schlafzimmer grenzte ein Bad, das so blitzblank aussah wie in einem Fünfsternehotel. Die Toilettenartikel auf den Regalen – Aftershave, Rasierseife, Rasierer, Zahnpasta – waren alle im gleichen Abstand zueinander platziert und mit ihrer besten Seite nach vorn ausgerichtet. Zwei Handtücher hingen sauber gefaltet über einem Heizkörper, die restlichen lagen aufgerollt in einer in die Kalksteinwand eingelassenen, holzverkleideten Nische. Ihre im Uhrzeigersinn eingedrehten Vorderseiten sahen aus wie ein Nest flauschiger Ammoniten. Lara staunte über den Mann, der so lebte.
Während sie auf der Toilette saß und ihre Blase leerte, fiel ihr eine Reihe von Pillenröhrchen ins Auge, die oben auf dem von Strahlern umrahmten Spiegel über dem Waschbecken standen. Als sie fertig war, kletterte sie auf den Toilettendeckel und betrachtete sie.
Zwischen Vitaminen und pflanzlichen Nahrungsergänzungsmitteln fand sie auch ein Plastikröhrchen mit Xanax, eine Durchdrückpackung Valium sowie ein Fläschchen Prozac. Als sie es schüttelte, stellte sie fest, dass es halb leer war. In Amerika war das vermutlich nichts Besonderes. Nicht mal für einen Briten. Sie stieg von der Toilette herunter. Der Arme, dachte sie. Ganz allein wohnte er hier draußen, mit nichts als seiner Kunst und seinen Büchern und seinen Pillen.
Sie warf einen Blick in den Spiegel, zog sich den BH aus und wusch sich die Achseln mit Stephens Seife. Sie trocknete sie an seinem Handtuch ab und benutzte sein Deodorant. Denn sie wollte nicht in sein wunderschönes Hemd schwitzen. Danach stellte sie alles wieder genau so hin, wie sie es vorgefunden
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