Hautnah
Haarsträhnen um den Finger zu wickeln. In der drückenden Hitze des späten Nachmittags konnte Lara seinen klebrigen kleinen Körper nur schwer ertragen, aber sie hatte auch nicht das Herz, ihn abzuweisen. Sie sah zu den Bäumen hinüber, die Stephens Rasen säumten. Ihre Zweige waren ganz still, kein Zittern oder Flattern der Blätter war zu sehen. Die Luft hatte eine schmutziggelbe Farbe, und das elektrische Sirren der Zikaden bohrte sich ihr tief in den Schädel. Als sie den Blick senkte, bemerkte sie eine kleine schwarze Fliege, die ihr den Arm hochkrabbelte.
»Es liegt ein Gewitter in der Luft«, sagte Stephen. »Das Wetter hier ist ein beeindruckendes Schauspiel.«
»Au!« Olly schlug sich auf die Wade. »Der kleine Scheißer hat mich gestochen. Aua! Schon wieder.«
»Heulsuse«, sagte Bella.
»Gnitzen«, erklärte Stephen und öffnete eine kleine Schublade im Tisch. »Man sieht sie fast gar nicht, aber ihr Stich ist ziemlich schmerzhaft. Hier.« Er warf Olly ein Fläschchen zu. »Sprüh dich damit ein und gib es dann weiter. Das hält die Insekten ab.«
Einer nach dem anderen hüllte sich in Citronella-Dunst.
»Was für ein irres Haus«, sagte Marcus. »Wie bist du darauf gestoßen?«
»Ich habe es gebaut«, antwortete Stephen beiläufig und reichte die Schale mit den Oliven herum. »Natürlich nicht eigenhändig. Ich habe den Wald gekauft, die Lichtung roden und das Haus aus den abgeholzten Bäumen bauen lassen. Die Steine – für den Kamin und den Mittelteil des Hauses – stammen aus einem kleinen Steinbruch, der auf meinem Land liegt.«
»Das klingt so ganzheitlich und elementar. So nachhaltig«, sagte Marcus und beugte sich ein wenig zu eifrig nach vorn.
Lara hatte derweil mit Jack zu kämpfen, weil dieser an ihrer Hand zog, in der sie das Weinglas hielt. Sie konnte nur hoffen, dass Marcus’ Schwärmerei nicht den ganzen Abend lang andauern würde. Er wollte unbedingt unter Beweis stellen, dass er kein Problem mit Stephens Erfolg hatte, und dabei konnte es leicht passieren, dass er übers Ziel hinausschoss. Er war nicht besonders gut darin, das rechte Maß zu finden.
»Klingt ganz so, oder?«, sagte Stephen. »Aber als ich zwischendurch hergefahren bin, um mir die Bauarbeiten anzusehen, sah es hier aus wie in einer Reportage über die Abholzung des Regenwalds. Es mussten überall Gräben zwischen den Bäumen hindurch gezogen werden, damit das Wasser vom Brunnen hergeleitet und der Abwassertank eingebaut werden konnte. Und ich wollte auch die Elektroanschlüsse unterirdisch verlegt haben, also mussten sie dafür auch noch die Erde aufreißen.«
»Willst du auf Dauer hier wohnen bleiben?«, erkundigte sich Lara. Jack hatte angefangen, seinen Kopf an ihr zu reiben, und verteilte Rotz überall auf ihrem grünen Leinentop.
»Wenigstens bis zum nächsten Sommer, vielleicht auch länger«, antwortete Stephen. Zum ersten Mal seit ihrer Ankunft sah er ihr direkt in die Augen.
»Was ist denn mit deinen Filmen?«, mischte sich Olly ins Gespräch.
»Die können warten«, sagte Stephen. »Es gibt Wichtigeres.«
»Stalkerinnen aus dem Weg zu gehen, zum Beispiel«, warf Olly ein.
»Könnte man so sagen.«
»Ach, Jack!«, rief Lara. Ihrem kleinen Sohn war es endlich gelungen, ihr Glas zum Überschwappen zu bringen, so dass die Schleimspur vorn an ihrem Oberteil nun durch Rotwein ergänzt wurde.
»Ich hole dir was«, bot Stephen an. Er stand auf und verschwand im Haus.
»Ich glaube nicht, dass er über die Stalkerin reden will, Kumpel«, sagte Marcus zu Olly, sobald Stephen außer Hörweite war.
»Ich treibe nur höfliche Konversation.«
»Verkneif’s dir einfach, verstanden?«, wies Marcus ihn zurecht. »Und spuck den Scheißkaugummi aus.«
Stephen kam mit einem feuchten Stück Küchenkrepp zurück. Er reichte es Lara, und erneut berührten sich ganz kurz ihre Hände.
»Trudi meinte, sie hilft dir hier ein bisschen aus?«, sagte Lara, um sich wieder zu erden.
»Trudi?«, fragte Marcus.
»Du weißt schon, die Frau, die auf James’ und Bettys Party das Fleisch serviert hat«, fügte Olly hinzu. Um dem Gedächtnis seines Vaters auf die Sprünge zu helfen, zog er Trudis Narbe vom Mund bis zum Ohr nach.
»Oh, ja. Autsch«, sagte Marcus.
»Die sieht echt finster aus.«
»Olly«, mahnte Marcus.
»Sie hatte kein leichtes Leben«, sagte Stephen. »Sie war Tänzerin, dann hat sie irgendwann angefangen, Drogen zu nehmen, und von da an ging es immer weiter bergab. Sie hat fünf Jahre
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