Havanna für zwei
bestimmt schon zehn Mal gesagt.«
Emma angelte die Milch aus dem Kühlschrank und stellte sie auf den Tisch.
»Er ist nur ein Gast – ein Freund.«
»Hör zu, Mum, das ist okay. Ich hab sowieso was vor. Gavin hat mich gefragt, ob ich heute Abend mit ihm Tennis spiele, dann seid ihr mich los.«
»Das ist nicht nötig. Ich will, dass du ihn kennenlernst.«
»Er ist dein Freund, und Louise hat gesagt, wenn ich will, kann ich bei ihnen schlafen.«
»Es wäre schön, wenn du heute Abend mit uns isst.«
»Ich esse bei Gavin, und er hat gesagt, dass ich bei ihm schlafen kann, wenn es dir recht ist.«
Jetzt verabredete sich ihr Sohn schon eigenständig zum Übernachten. Was war aus ihrem kleinen Jungen geworden? Seit seinem zehnten Geburtstag vor einer Woche verhielt er sich wie ein richtiger Teenager.
»Aber ich möchte, dass du Felipe kennenlernst.«
»Ich seh ihn ja dann morgen.«
Finn stand auf und räumte seine Müslischale in die Spülmaschine. Dann schlenderte er lässig zu seiner Mutter und gab ihr einen Kuss auf die Wange.
»Bleib cool.«
Emma war sprachlos. Sie nahm ihre Autoschlüssel und ihre Sachen und folgte Finn mit seiner Golftasche zum Wagen.
Mit einem dumpfen Geräusch setzten die Räder des Flugzeugs auf der Landebahn am Dubliner Flughafen auf. »Fáilte romhaibh, a chairde, go Baile Átha Cliath« , sagte der Chefsteward.
Felipe hörte zum ersten Mal Irisch. Als das Flugzeug sich im Anflug befand, waren die Felder unter ihnen unendlich grün gewesen, und die Häuser und Gebäude waren im Vergleich zu Havanna sehr übersichtlich angeordnet und blitzsauber.
Die Passagiere hatten es eilig, den Flieger zu verlassen, und das Klicken der sich öffnenden Sicherheitsgurte klang wie eine Reihe umfallender Dominosteine.
Felipe ließ der Frau den Vortritt, die während des einstündigen Fluges von London Heathrow stumm hinter ihm gesessen hatte, und danach schoben sich die Leute aus den umliegenden Sitzreihen zum Ausgang.
Er langte ins Gepäckfach und zog die abgenutzte schwarze Tasche heraus, in der sich seine Wertsachen befanden.
Als er die Flugzeugtreppe hinabstieg, fiel ihm als Erstes die Kälte auf. Er wunderte sich, dass die meisten seiner Mitpassagiere es nicht zu merken schienen. Es war auf keinen Fall wärmer als achtzehn Grad. Emma hatte ihm versichert, dass das Wetter schön war und es in nächster Zeit nicht regnen würde. Er holte seinen Pullover aus der Tasche und zog ihn sich über den Kopf. Dann begab er sich mit Pass und Bordkarte in der Hand zum Terminal. Sie hätten ihn fast nicht aus Havanna ausreisen lassen. Das irische Visum bestand aus einem einfachen Stempel auf der letzten Seite seines Passes, ohne ein Foto als Identifikationsmöglichkeit, und Felipe hätte dem mürrischen Kerl am Ausreiseschalter fast ein saftiges Schmiergeld zahlen müssen. Zum Glück hatte ihn ein Kollege abgelöst, der Felipe nur wenige Minuten vor dem Start des Flugzeugs zur Abflughalle durchgelassen hatte.
Doch an solche Unannehmlichkeiten war Felipe gewöhnt, und als er sich seine gut gekleideten Mitreisenden aus London ansah, erkannte er, dass ihnen sein Lebensstil so fremd war, als stammte er von einem anderen Planeten. Aber Felipe war das egal. Wenn er erst mal bei der Gepäckausgabe war, würde es nur noch Minuten dauern, bis er Emma wiedersah.
Emma stand an der roten Seilabsperrung, die die Ankommenden von den Wartenden trennte. Ihr Mund war ganz trocken, und ihr Herz schlug schneller. Der Flieger war vor zwanzig Minuten gelandet. Falls Felipes Gepäck aufgehalten würde, könnte sie hier noch weitere zwanzig stehen. Ihre Handflächen waren feucht, und sie war vor Aufregung ganz atemlos.
Plötzlich sah sie ihn. Er trug eine Reisetasche über der linken Schulter und in der rechten Hand eine schäbige Tragetasche. Seine Haare waren um einiges kürzer, sodass er mehr einem Dichter ähnelte als einem Rebellen, und die dunklen Augen unter den dunklen Augenbrauen suchten nervös die Ankunftshalle ab.
Am liebsten wäre sie auf ihn zugestürmt, um ihn zu umarmen, doch die Menschen um sie herum versperrten den Weg.
Als er sie in der Menge erblickte, lächelte er. Sie trug ein Kleid mit rosa Streifen, das ihren Hals und ihre Schultern wunderbar zur Geltung brachte. Ihr schwarzes Haar war zu einem lockeren Pferdeschwanz zusammengebunden, und ihre Sonnenbrille hatte sie hochgeschoben.
Sie winkte und lief mit schnellen Schritten auf ihn zu, bis sie unmittelbar voreinander standen. Dann fiel sie ihm
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