Havelgeister (German Edition)
können wir in aller Ruhe reden.«
Lara sah ihn an. »Wo ist eigentlich Mama?«
Das wusste Manzetti auch nicht so genau. Er konnte es nur raten. »Ich bin eben erst gekommen, und da war ihr Auto bereits weg. Lass uns einfach reingehen, vielleicht hat sie uns ja einen Zettel hingelegt.«
Und tatsächlich. Auf dem Küchentisch lag eine Nachricht und die bedeutete, dass Kerstin Manzetti zum Yoga gefahren war. Wie jeden Montag.
Er stellte sich an den Herd, zog das Glas mit den Spaghetti zu sich heran und kramte einen geeigneten Topf aus dem Schrank, den er mit heißem Wasser füllte.
Paps, du kannst mir nicht helfen. Dieser Satz dröhnte noch immer in seinen Ohren. Wie kam sie nur darauf? Schließlich war er ihr Vater und damit eine ausgewiesene Vertrauensperson. Oder hatte es etwas mit seinem Job zu tun?
»Gibst du mir bitte drei Zitronen?«, bat er Lara, um sie ein wenig in seine Kochanstrengungen einzubinden. Als kleines Mädchen hatte sie das ungeheuer gemocht.
Sie legte ihren Helm auf den Tisch und bückte sich zum Obstkorb. Stumm reichte sie ihm die gelben Früchte.
»Wenn es also die Schule ist und doch wieder nicht, hast du dann vielleicht Ärger mit einem Mitschüler?«
Lara ließ sich auf einen der beiden Stühle sinken und sah zu, wie ihr Vater die Zitronen schälte. Als das saure Aroma sich in der kleinen Küche ausbreitete, fand sie endlich ihre Stimme wieder.
»Kannst du eigentlich noch ein Sabbatical-Jahr dranhängen?«
Er drehte sich verblüfft um und sah seine Tochter an. Sie hockte auf dem Stuhl, als hätte ihr jemand die Luft rausgelassen. Platt und ohne jede Körperspannung. Den Motorradhelm drehte sie stetig im Kreis. Als er ihr gerade dieses Spielzeug wegnehmen wollte, traf ihn fast der Schlag. Auf der linken Seite des Helmes prangte ein Aufkleber, den er heute am Dom schon einmal gesehen hatte und schlagartig wurde ihm der Grund ihrer Fragerei klar.
»Was ist das, Lara?«
»Was?«
Er trat an den Tisch, nahm den Helm in die Hand und drehte ihn so, dass Lara auf den Aufkleber schauen musste. »Das«, sagte er schon etwas lauter.
»Ein Aufkleber«, antwortete sie. »Was sollte es denn sonst sein?«
»Das ist nicht nur ein Aufkleber. Das ist ein ausgewachsener Weißkopfseeadler und er guckt nach links.« Er musste sich erst einmal beruhigen, griff nach den Knoblauchzehen, um sie zu schälen und zu schneiden.
»Na und?«, kam es plötzlich von hinter ihm. Es war Kerstin, die vom Yoga zurück war und hinter Paola in die Küche trat. Eigentlich ein Unding, denn der Raum war für vier Leute viel zu klein.
»Lecker«, züngelte Paola und schob ihren Wuschelkopf über den Kochtopf. »Zitronenspaghetti.« Dann zog sie sich, als sie den Ausdruck im Gesicht ihrer großen Schwester ausreichend gedeutet hatte, in ihr Zimmer zurück.
Manzetti konzentrierte sich auf seine Frau, die gerade dabei war, ihrer Frage noch eine Bemerkung folgen zu lassen. »Manche haben ihr Lieblingspferd auf dem Helm und andere eben einen Weißkopfseeadler. Wo ist das Problem?«, fragte sie und lehnte sich gegen die Spüle. »Hättest du es lieber, wenn Lara einen Totenkopf am Helm trägt?«
Natürlich hatte er das nicht. Obwohl sich in seinem Kopf gerade eine solche Assoziation aufbaute.
Da Lara durch die Bemerkung ihrer Mutter gerade Oberwasser zu bekommen drohte, lotste Manzetti seine Frau mit den Augen ins Arbeitszimmer. Nicht jedoch, ohne der großen Tochter noch den Auftrag zu erteilen, die Knoblauchscheiben und die klein gehackten Zitronenschalen in Butter zu dünsten, Créme double dazuzugeben und alles mit Salz und Pfeffer abzuschmecken.
Im Arbeitszimmer ließ er sich auf das alte, knarrende Sofa fallen und sah Kerstin an. »Nein, ich möchte nicht, dass sie einen Totenkopf am Helm trägt«, sagte er. »Aber ich stelle mir die Frage, warum unsere Tochter trotz ihrer Allergie gegen jedes Federvieh einen ausgesprochenen Hang zu Adlern entwickelt?«
Kerstin verschränkte die Arme vor der Brust. »Und ich stelle mir die Frage, was dich beim Anblick eines Adlers so in Rage bringt, dass du schon auf der Straße zu hören bist? Es kann doch nicht allein daran liegen, dass der Weißkopfseeadler das amerikanische Wappentier ist und du mit diesem Land keinen Frieden schließen willst. Wir können nicht aus einer Laune heraus jede Handlung unserer Kinder politisieren.«
Manzetti sah auf das Bild über dem Schreibtisch. Eine friedliche toskanische Landschaft. »Nein, das können wir nicht und ich habe das auch gar
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