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Havelgeister (German Edition)

Havelgeister (German Edition)

Titel: Havelgeister (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Wiersch
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Journalisten, als wolle er ihm etwas ganz im Vertrauen erzählen, »wir leben in einem Rechtsstaat. Da dürfen wir Bürger mit Fug und Recht davon ausgehen, dass die Polizei mit allen nur denkbaren Mitteln die Ermittlungen vorantreibt, egal wer wie involviert ist. Die Zeiten, in denen man Einfluss auf das Staatsgefüge nehmen konnte, sind Gott sei Dank vorbei.«
    Wegmann nahm diese Ohrschelle ungerührt hin. Das musst du mir gerade erklären, ging es ihm durch den Kopf. Ein Mann, der innerhalb weniger Jahre zum Multimillionär aufgestiegen ist.
    »Darf ich Ihnen auch einige Fragen zu Ihrem Sohn stellen? Oder soll ich …«
    »Bitte«, kam Thomas Böttger Wegmanns zweiter Frage erstaunlich offen zuvor.
    »Nepomuk gilt als Kopf der Graffititruppe, der man den Schrei auf dem Dach des Doms zuschreibt. Sie haben das bisher nicht bestritten, obwohl es keine objektiven Beweise gibt. Wie kommt das?«
    »Nepomuk war ein sehr talentierter Junge. Schon als Kind hat er jede freie Minute genutzt, um zu malen und sich mit den Bildern großer Künstler zu beschäftigen. Ich habe nie daran gedacht, ihn darin einzuschränken. Auch nicht, als er sich temporär der Mode des Graffiti zuwandte. Der einzige Deal, den wir beide hatten, war, dass er nicht Hauswände besprüht, sondern Leinwände, was er ja mit dem Schrei auch getan hat.«
    Wegmann dachte kurz nach. Hatte er Böttger jetzt doch bei einer Unachtsamkeit erwischt?
    »Aber auch die Beseitigung einer riesigen Leinwand erzeugt Kosten, Herr Böttger. Wenn ich nur an den Hubschraubereinsatz der Polizei denke, der aus Steuergeldern finanziert wird.«
    Böttger lächelte wieder. Nun sogar mit Beteiligung der Augen. »Sicherlich. Aber ich habe mit dem Polizeipräsidenten vereinbart, dass mir eine Rechnung gestellt wird. Ich möchte nicht, dass der Steuerzahler auch nur einen Euro bezahlen muss.«
    Sehr edel, dachte Wegmann und ärgerte sich ein bisschen darüber, dass ihm der Unternehmer wieder durch die Finger geglitten war. »Das ist sehr großzügig von Ihnen. Die Eltern der anderen beteiligten Jugendlichen werden das zu schätzen wissen.«
    »Das ist doch eine Sache der Ehre, oder?«
    Natürlich. Wenn man über das nötige Kleingeld verfügt, lässt sich auch Ehre ausleben.
    »Kennen Sie die anderen Jugendlichen aus der Truppe?«
    »Zwei. Einen Jungen und ein Mädchen. Sie haben sich zusammen mit Nepomuk hin und wieder bei Frieda Boll aufgehalten, um von ihr zu lernen.«
    »Reden Sie von Kevin Schuster und Lara Manzetti?«
    »Ja, so heißen sie.«
    »Glauben Sie, dass die beiden etwas mit dem Raub oder sogar mit dem Tod Ihres Sohnes zu tun haben?«
    Bevor Thomas Böttger antworten konnte, trat Dr. Sabine von Alvensleben wieder in die Bibliothek. Dieses Mal durch die große, zweiflügelige Tür. »Herr Böttger, Ihr Fahrer wartet. Sie müssten jetzt losfahren, wenn Sie den Flieger noch bekommen wollen.«
    Böttger erhob sich und schloss sein Sakko.
    »Es tut mir leid, aber ich habe noch andere Termine. Das Geschäftsleben nimmt keine Rücksicht auf Privates, auch nicht auf Todesfälle. Frau von Alvensleben wird sich weiter um Sie kümmern.«
    Dann schritt er wie ein Staatsmann zur Tür und war auch schon verschwunden, ohne sich noch einmal umzublicken.
    Sabine von Alvensleben ließ die Hand auf der Klinke liegen.
    »Sie können gerne einen neuen Termin vereinbaren. Sobald Herr Böttger von der Geschäftsreise zurück ist, werde ich mich mit Ihnen in Verbindung setzen.«
    Auf ihrer Höhe blieb Wegmann noch einmal stehen. »Wo fliegt er denn hin, oder ist das ein Firmengeheimnis?«
    »Nein, ist es nicht. Herr Böttger hat einen Termin in Priština und wird in zwei Tagen zurück sein. Ein großer Teil seines Engagements gilt seit Langem dem Wiederaufbau dieser bürgerkriegsgebeutelten Region.« Dann schloss die adlige Sekretärin hinter den Journalisten die Tür.
    Als sie die letzten Stufen des Portals genommen hatten, begann Karin zu fluchen.
    »Nicht ein einziges Foto konnte ich machen. Hättest du ihn nicht noch darum bitten können?«
    Da Wegmann nicht reagierte, stieß sie ihn in die Seite. »Hast du mir zugehört?«
    Abrupt blieb er stehen und sah Karin mit kreisrunden Augen an. »Würdest du in den Kosovo fliegen, wenn dein Sohn in wenigen Tagen beigesetzt wird? … Ich nicht.«

24
    Kevin musste sich sehr anstrengen, um auf dem weißen Blatt noch die Linien zu erkennen, die er mit dem schwarzen Kohlestift gerade erst gezogen hatte. Fast hätte er den Stift beim Malen

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