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Havelgeister (German Edition)

Havelgeister (German Edition)

Titel: Havelgeister (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Wiersch
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Frau?«
    Wieder zog Emmi die Schultern hoch. »Das weiß ich nicht. Aber sie hat sich ganz herzlich bei mir bedankt und mir sogar ein Geschenk gemacht.« Emmi stand auf und langte auf den Kühlschrank. »Ich muss es noch aufhängen. Sie sagte, dass sie es selbst gemalt habe. Ist doch nett, oder?«
    Emmi reichte Bremer das Bild, und er nahm es in die Hand. Es zeigte eine farbenfrohe märkische Landschaft mit Bäumen und Wiesen, über die eine Herde Pferde galoppierte. Das Bild war sogar signiert. Bremer setzte seine Brille auf und erkannte sofort den Namen der Malerin. In der unteren rechten Ecke stand ihr Name. Frieda Boll.

44
    Wegmann hörte nicht, was Fatmire zu ihm sagte. Sie redete wie eine Besessene auf ihn ein und stieß ihm dabei die dünnen Finger in die Seite. Trotzdem hatte er nur Augen für Sabine von Alvensleben. Seine Gedanken galten ihren schwarzen Strapsen und dem Strumpfhaltergürtel aus roter Spitze. Seine Hose bekam sogar eine leichte Wölbung, die ihm nicht unangenehm war.
    »Herr Wegmann, was führt Sie denn in den Kosovo?«
    Er befreite sich von Fatmires kleinen Attacken und schnurrte wie eine rollige Katze auf die Sekretärin von Thomas Böttger zu. Dann stand er schweigend vor ihr, was reichlich jungenhaft wirkte.
    »Was haben Sie, Herr Wegmann? Ist Ihnen nicht gut?«
    »Doch, doch. Es geht mir ausgezeichnet. Mir stecken nur noch die Reisestrapazen in den Knochen.«
    Fatmire räusperte sich. »Es war ja auch eine unruhige Nacht«, mischte sie sich ein. Sie löste die Armbanduhr vom rechten Handgelenk und reichte sie Wegmann. »Hier. Hast du auf meinem Nachtschrank liegen lassen.«
    Wegmann rollte innerlich mit den Augen. Warum schlugen Frauen einem nicht mit der Faust in die Fresse? Warum versetzten sie ihren Opfern mit ihren schmalen Dolchen immer diese feinen und garantiert todbringenden Stiche?
    »Das ist meine Fahrerin«, stellte er Fatmire vor. »Ich bezahle sie, mich von A nach B zu bringen.«
    Die beiden Frauen, die von Wegmanns letzter Bemerkung keine Notiz zu nehmen schienen, reichten sich die Hand.
    »Ich bin Dr. Sabine von Alvensleben. Angenehm Sie kennenzulernen.«
    »Ich freue mich auch. Fatmire Krasniqi.«
    Sabine von Alvensleben zog die Augenbrauen nach oben. »Dann kommen Sie eventuell aus Lluka?«
    »Nein«, behauptete Fatmire. »Wir gehören nicht zu dem eigentlichen Krasniqiclan, der in den Dörfern rund um Lluka lebt. Meine Familie hat sich schon vor Jahrzehnten abgewandt und in Nordalbanien angesiedelt. Ich bin die Erste, die zurück in den Kosovo kam.«
    Sabine von Alvensleben nickte. »Dann leben Sie noch nach den Traditionen des Kanuns?«
    »Ja, zum Teil wenigstens.«
    Wenn Wegmann sich bislang noch etwas Würde bewahrt hatte, war die jetzt wie weggeblasen. Böttgers Sekretärin hatte mit einer einfachen Geste und ein paar beiläufig formulierten Fragen mehr über Fatmire erfahren, als er selbst, auch wenn er Fatmire körperlich viel näher gekommen war. Das wollte er so nicht auf sich sitzen lassen.
    »Wie kommen Sie darauf, dass Fatmires Familie nach dem Kanun lebt? Sie selbst hat sich lange in Deutschland aufgehalten. Da hat sie die alten Benimmregeln längst abgelegt und zumindest teilweise mit den unseren ersetzt.«
    »Der Kanun hat wenig mit Benimm zu tun, Herr Wegmann«, erklärte Sabine von Alvensleben. »Es handelt sich um eine sehr alte Tradition, die das Zusammenleben über viele Generationen geregelt hat, auch wenn wir bestimmte Regeln nicht verstehen. Oder sie sogar ablehnen. Das aber ist oft scheinheilig, denn es ist das eine, mit dem Finger auf Kulturen zu zeigen, die Frauen unserer Meinung nach unterdrücken, und sonntags in eine Kirche zu gehen, in denen eine Frau zwar Geld in den Klingelbeutel werfen darf, aber niemals Priester werden kann. Doch lassen wir das. Begleiten Sie mich lieber in das Zelt da drüben.« Sie deutete mit ihrem rundlichen Kinn quer über den Platz, den gelb-rote Bänder absperrten. »Dort findet ein kleiner Empfang statt, den Premierminister Thaci und der deutsche Entwicklungshilfeminister zu Ehren von Herrn Böttger geben.«
    Wegmann willigte ein und lief hinter den beiden Frauen her, die kaum von ihm Notiz nahmen und sich angeregt über die albanische und damit auch die Kultur im Kosovo unterhielten.
    Als er schließlich in das Zelt trat, wehte ihm der Duft aromatischer Speisen um die Nase. Es roch anders als in deutschen Festzelten, es fehlte an Bratwurst und Schweinshaxe. Würde sein Magen weiter rebellieren? Er horchte kurz

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