Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Havelgeister (German Edition)

Havelgeister (German Edition)

Titel: Havelgeister (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Wiersch
Vom Netzwerk:
»Das ist nicht nötig. Ich gebe mich auch mit dem Entwurf zufrieden. Vielleicht habe ich ja so die Möglichkeit, in den Besitz einiger Seiten mit Ihrer reizenden Handschrift zu kommen?«
    »Da muss ich Sie enttäuschen. Entwurf heißt lediglich, dass dieses Exemplar für mich gedacht war und nicht gebunden ist.«
    Wegmann deutete einen Diener an und nahm das Bündel DIN-A4-Blätter aus der Hand von Sabine von Alvensleben und rollte sie zusammen. »In Ordnung«, sagte er. »Ich werde schauen, was sich daraus machen lässt.«
    Frau von Alvensleben drückte die silbrig glänzenden Schlösser des Koffers zu und hob ihn vom Tisch. »Hier noch meine Visitenkarte. Falls Sie Fragen haben, rufen Sie mich gerne an. Ich werde sehen, was ich für Sie tun kann.« Dann blickte sie über die Schulter, als müsse sie sicherstellen, dass niemand mithört. »Sie als Vertreter des Märkischen Kuriers haben nämlich Vorrang.« Ohne eine Antwort abzuwarten, verabschiedete sie sich und überließ ihren Platz Fatmire, die mit einem Minztee zu Wegmann trat.
    »Na, alles erledigt, oder müssen wir noch bleiben?«
    Wegmann schüttelte den Kopf, steckte die Rolle mit der Pressemitteilung in die Tasche seiner Jacke und folgte Fatmire zu ihrem Passat. Schnell fuhren sie an den Polizeiposten vorbei, erreichten die Hauptstraße und reihten sich in den Strom derer ein, die der Hauptstadt zuströmten.
    »Interessiert dich die Pressemitteilung gar nicht?«, fragte Fatmire.
    »Doch. Aber ich lese sie später.«
    »Bitte«, bettelte Fatmire. »Lies mir wenigstens die ersten Seiten vor. Ich möchte unbedingt wissen, wie toll diese kluge Frau schreiben kann.«
    Wegmann gab sich geschlagen und holte die zusammengerollten Blätter aus der Jackentasche. Er ließ sie über den Daumen gleiten und musste lächeln. Der Vollprofi Dr. Sabine von Alvensleben hatte offensichtlich mehr Blätter gegriffen, als nötig. Am Ende der Pressemitteilung hingen noch zwei Faxprotokolle. Eine Ticketbestätigung der Fluggesellschaft, mit der Böttgers Sekretärin nach Deutschland zurückfliegen wollte und eine Bestellung beim Ottoversand. Gleich die erste Position war nach Wegmanns Geschmack: Halterlose Strümpfe, LASCANA, 2 Paar, Set-Preis € 26,99.
    Wegmann musste schmunzeln. Dann ließ er die Blätter noch einmal über den Daumen laufen, denn beim ersten Mal glaubte er ein etwas dickeres Papier gespürt zu haben, das bestimmt auch nicht in den Pressebericht gehörte. Etwa nach dem zweiten Drittel des Berichtes wurde sein Daumen fündig. Er zog das Blatt aus dem Bericht und vergaß fast zu atmen. In seinen Händen hielt er ein gelbliches, leicht durchsichtiges Stück Pergament.
    »Was ist mit dir?«, fragte Fatmire, die mitbekommen hatte, dass ihr Beifahrer plötzlich in eine Starre gefallen war, aber wegen des immer dichter werdenden Verkehrs nicht zu ihm hinübersehen konnte. »Geht es dir nicht gut?«
    »Doch«, antwortete Wegmann und schluckte den in seinen Mund schießenden Speichel herunter. Er konnte sein Glück kaum fassen. Sabine von Alvensleben hatte ihm mit dem Pressebericht nicht nur die private Bestellung lasziver Wäsche ausgehändigt, sondern auch ein Stück Pergament mit brisantem Inhalt.
    Wegmann war das erste Mal in seinem Leben froh darüber, in der Sekundarstufe den Lateinkurs besucht zu haben. Er führte das Pergament an die Nase. So roch uralte Ziegenhaut, Wegmann war sicher. Und das, was er gerade in seinen Händen hielt, war der Codex Sinaiticus. Zumindest ein Teil davon, denn auf dem Pergament war die erste Seite des neuen Testaments niedergeschrieben.

45
    Manzetti lenkte sein Auto durch den Verkehr der Sankt-Annen-Straße. Besser gesagt, er hatte es vor, denn im Moment stand er, da in der Innenstadt mal wieder gar nichts ging. Ärgerlich, denn der Weg über die Umgehungsstraße war zwar der weitere, aber dort konnte man wenigstens fahren.
    Damit hatte er aber Zeit, vor dem Gespräch mit Frieda Boll noch einmal bei Sebastian anzurufen. Er nahm das Prepaid-Handy und sah auf das Display. Leuchtend blau stand dort: Akku schwach. Und das Ladekabel lag noch bei Sebastian in der Wohnung. Der Akku musste dieses eine Mal einfach noch reichen. Er drückte auf die Taste, auf der Bastis Nummer hinterlegt war. Anschließend legte er das Telefon auf den Beifahrersitz und wartete.
    Auf diese Art und Weise zu telefonieren, gefiel ihm neuerdings. Seit Lara ihm die Möglichkeiten von Bluetooth erklärt hatte, rief er hin und wieder jemanden aus dem Auto an. Mit

Weitere Kostenlose Bücher