Havelgeister (German Edition)
verstehen. Hast du schon vergessen, dass ich sehr lange in Deutschland gelebt habe? Was glaubst du, habe ich da den ganzen Tag gemacht? Stellst du dir vor, ich sei mit einer Burka über dem Kopf durch die Gegend gerannt?«
»Fatmire.« Er kam auf sie zu und setzte sich auf das Sofa neben ihre Füße. »Ich bitte dich lediglich, mich zum Hotel zu fahren, wo Böttger abgestiegen ist.«
Noch bevor Fatmire antworten konnte, klingelte sein Handy. Es war sein eigenes und nicht das, was ihm Manzetti in die Hand gedrückt hatte. Wegmann sah auf das Display und war erstaunt über die Nummer.
»Hallo, Sabine«, sagte er, erhob sich wieder und ging in die Küche, wo er die Tür hinter sich zuzog.
»Hallo, Henry. Haben Sie meine Pressemappe gelesen?«
Wegmann antwortete nicht gleich. Er ging erneut zum Fenster, zog die Vorhänge zurück und sah auf die Stadt. Es begann bereits dunkel zu werden. Eine gute Zeit für Monopoly.
»Ich bin nicht sehr weit gekommen«, sagte er. »Wie bei Krimis fange ich immer hinten an zu lesen. Und da bin ich von Ihrer Bestellung bei Otto am Weiterlesen gehindert worden. Sie wissen schon – die männliche Fantasie braucht manchmal nur einen Funken, um entfacht zu werden.«
»So, so. Und weiter sind Sie nicht gekommen, als bis zu den Strümpfen? Sie sind kulturlos, Henry.«
So nicht, meine Liebe, dachte er. Er war zwar Atheist, aber er konnte rechnen. Und das Deckblatt des Neuen Testaments war unter Umständen mehr wert, als der ganze Rest.
»Kulturlos würde ich das nicht nennen«, sagte er. »Aber ich räume ein, dass ich ein Stadtmensch bin und nicht so bewandert darin, Ziegenhäute zu bewerten. Vielleicht können Sie mir dabei helfen?«
»Das kann ich bestimmt. Fahren Sie nach Peja und von dort nach Süden. Dort liegt die Ortschaft Decani und das Kloster Visoki Decani. Dort treffen wir uns in zwei Stunden. Das Kloster besitzt eine wertvolle Bibliothek mit außergewöhnlichen Manuskripten aus dem 13. Jahrhundert. Ich glaube, man kann dort vorzüglich über alte Ziegenhäute reden.«
»In zwei Stunden?«, fragte Wegmann mehr rhetorisch. »Das müssten wir schaffen.
»Und, Henry, sagen Sie Fatmire, dass sie dort einen alten Bekannten wiedertreffen wird. Ihren Vetter Iwan.«
»Ihren Vetter Iwan«, wiederholte Wegmann.
»Ja, Iwan. Und vergessen Sie nicht, das auszurichten.«
49
Sabine von Alvensleben legte das Handy aus der Hand und sah den Mann an, der eine Pistole auf sie gerichtet hielt. Er war noch jung, vielleicht Ende zwanzig, aber schon vom Leben gezeichnet. Zahlreiche Narben liefen wie Studentenschmisse über die rechte Wange. Keine Überbleibsel von Auseinandersetzungen in Sachen Ehre in Burschenschaften, sondern wahrscheinlich Quittungen der zahlreichen Blutfehden, in die ihn Vater und Großvater geschickt hatten. Im Gegensatz zu seinem Oberst sprach er ausschließlich albanisch, was die Konversation mit der Deutschen nicht störte, denn sie beherrschte diese Sprache nahezu perfekt.
Krasniqis Scherge würde also kaum verstanden haben, welche verschlüsselte Botschaft sie an Fatmire übermitteln lassen hatte. Hoffentlich wurde ihr Handy nicht abgehört. Aber nur wenige Sekunden später wurde ihre Illusion zerstört. Ihr Handy klingelte.
»Ja, bitte.«
»Was sollte das?«
»Was?«, fragte Sabine von Alvensleben mit dem Ton glaubhafter Neugier.
»Warum haben Sie ihm einen Hinweis auf mich gegeben?«
»Das habe ich doch gar nicht. Er weiß nicht, dass es Sie gibt. Aber seine einheimische Fahrerin, die auch Krasniqi heißt, müsste wissen, dass ich auf Sie angespielt habe. Ich wollte nur sichergehen, dass sie ihn auf jeden Fall herbringt.«
»Ich glaube Ihnen kein Wort. Wenn Sie nicht enden wollen wie Ihr Chef, dann sollten Sie mich nicht verärgern. Und um Ihnen klarzumachen, wie ernst ich das meine, muss eine kleine Strafe an dieser Stelle sein. Geben Sie mir Brahim.«
Sabine von Alvensleben reichte zögernd das Telefon an den jungen Albaner weiter. Der hörte ausschließlich zu, was der Oberst ihm zu sagen hatte, und zeigte seine vergoldeten Schneidezähne, als er breit grinsend das Handy aufs Bett warf.
»Zieh dich aus, du Schlampe«, sagte er in seinem nordalbanischen Dialekt und öffnete mit einer Hand seinen Hosenstall.
50
Als Manzetti am Haus von Frieda Boll ankam, parkten vor dem Grundstück bereits zwei dunkle Limousinen. Die aufgesetzten Blaulichter kennzeichneten sie als zivile Polizeifahrzeuge. An dem ersten der beiden BMW stand ein Beamter mit angelegter
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