Haveljagd (German Edition)
seines Lebens.
»Sie waren in einer Erbschaftsangelegenheit bei mir.«
Na bitte. Michaelis hätte Richter um den Hals fallen können, unterließ das aber mit Blick auf die Etikette und den guten Ruf des Juristen.
»Und weiter?«
Richter sah auf sein Glas, aus dem er so gut wie nichts getrunken hatte. Dann sah er wieder zu Michaelis, aber sehr viel ernster als zuvor. Es lag ein heftiges Knistern in der Luft, als würden sich hier drinnen gerade die bizarrsten Blitze entladen, zu denen ein Gewitter in der Lage war.
»Kurt Becher war nicht mein Mandant.«
Michaelis runzelte verwirrt die Stirn, blieb aber vorerst stumm.
»Er kam nur wegen einer Beratung«, setzte Richter fort. »Ich musste ihm das Einmaleins des Erbrechts auseinandersetzen, und er fragte immer wieder, wie die Verteilung der Ansprüche geregelt sei.«
»Der Ansprüche?« Michaelis beugte sich nach vorn und riss die Augen auf. Ohne Luft zu holen, wartete er auf die nächsten Worte des Anwalts.
»Ja. Die Aufteilung zwischen den Kindern und den Enkeln eines Verstorbenen interessierte ihn besonders.« Dann schwieg Richter und sah zur Tür. Aber der Kellner war noch nicht zu sehen. »Es ging nicht um ihn selbst, falls Sie das jetzt glauben sollten.«
»Um wen dann?«
»Wohl um seinen Enkel.«
»Tim?«
Richter überlegte kurz. »Ja, ich glaube, so heißt der Junge.«
»Und?«, fragte Michaelis. »Welchen Anteil hat ein Enkel?«
»Nicht der Rede wert, es sei denn, es gibt ein Testament.«
Konnte das die Lösung sein? Kurt setzte anstatt seiner Tochter seinen Enkel als Haupterben ein, was die … »Das verstehe ich nicht. Ging es nun um Kurt oder nicht? Und wollte er die Verteilung seines Erbes zwischen seiner Tochter und seinem Enkel festhalten lassen?«
Richter setzte sein Glas an die Lippen. Als er es wieder runternahm, sagte er etwas lauter: »Nein! Es ging nicht um das Ehepaar Becher. Denken Sie mal nach. Jedes Kind hat doch zwei Großväter.«
Michaelis schlug sich so gewaltig die Hand vor die Stirn, dass prompt der Schmerz seines Veilchens aufblühte. »Sie meinen …«
Malte Richter nickte. »Suchen Sie die anderen Großeltern und Sie kommen der Lösung Ihres Falles sehr nahe. Und finden Sie das Testament des anderen Großvaters, von dessen Existenz Kurt Becher gewusst hat. Ich glaube, dass er sich in dieser Sache sehr für Tim engagiert hat. Mehr kann ich Ihnen leider nicht verraten, ohne gegen mein Berufsethos zu verstoßen.«
Michaelis begriff, dass dies das letzte Wort gewesen war und spürte plötzlich, wie ihm die Zeit durch die Finger rann. Er entschied sich, das Essen Essen sein zu lassen, bedankte sich bei Richter und rannte fast den Kellner um, der gerade durch den schmalen Flur kam.
In diesem Moment hörte er noch einmal die Stimme des Anwalts. »Herr Michaelis.«
Er drehte sich abrupt um.
»Einen Tag vor Kurt Bechers Tod gab es einen Einbruch in ein Brandenburger Notariat. Soviel ich gehört habe, verschwanden dabei alle im Tresor abgelegten Testamente. Auch eines, in dem es um 3,8 Millionen Euro geht. Das dürfte Ihre Suche vielleicht etwas vereinfachen, denn solche Erblasser gibt es nicht wie Sand am Meer.«
12
Als er wieder auf die Straße trat, empfing ihn sofort die heiße Nachmittagssonne. Auch die Steine unter seinen Füßen sonderten viel gespeicherte Wärme ab. Er zog sein Handy aus der Tasche, denn im Restaurant hatte er gespürt, wie es vibrierte, hatte aber nicht rangehen wollen. Anfangs noch aus Höflichkeit, dann, um das Gespräch mit Malte Richter nicht zu unterbrechen.
Es waren drei Anrufe in Abwesenheit registriert. Dreimal Inka. Als er gerade zurückrufen wollte, fühlte er, wie eine Hand über seinen Rücken strich. »Werner. Was machst du denn hier?«
Er drehte sich um und blickte in ein Gesicht voller Verwunderung, »Karin«, sagte er und nahm ihren Kuss auf seine Wange hin.
Karin Leffler. 50 Jahre alt, aber aussehend wie 40 und fit wie 30. Ansonsten war Karin mit der Weisheit einer Siebzigjährigen ausgestattet und derzeit das vierte Mal seine Ex. Es konnte auch schon das fünfte Mal sein. In solchen Dingen zählte er nicht mit.
»Du siehst ja gar nicht gut aus«, sagte sie und seufzte.
Er tastete über sein blaues Auge. »Es tut schon gar nicht mehr so weh.«
Sie kramte in ihrer Umhängetasche und förderte ein Brillenetui hervor. Daraus nahm sie eine Sonnenbrille und hielt sie ihm hin. »Ich meine nicht dein Veilchen. Das wirst du dir verdient haben, nehme ich an. Aber du siehst gestresst
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