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Haveljagd (German Edition)

Haveljagd (German Edition)

Titel: Haveljagd (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Wiersch
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draußen gesickert sein, denn er wurde angefeindet. Kurt igelte sich daraufhin nach Aussagen seiner Tochter ein und war, wie soll ich es sagen, er war irgendwie verstört. Mit mir hat er den Kontakt zwischenzeitlich ja auch abgebrochen. – Eines schönen Tages geht er dann zu Oberstaatsanwalt von Woltersbrück und ist am nächsten Morgen tot.«
    »Nachdem man ihn gefoltert hat«, ergänzte Karin.
    »Ja. Nachdem man ihn gefoltert hat.«
    »Sag mal, kannst du mit Sicherheit ausschließen, dass dein Freund sich nicht schon vor diesem Zeitpunkt verändert hat? Wie gut kennst du ihn überhaupt? Ihr hattet doch über lange Jahre hinweg so gut wie keinen Kontakt.«
    Er zuckte nur mit den Schultern.
    »Das ist dein eigentliches Problem, oder? Und deshalb stocherst du nur so herum. Mal da fragen, mal da hinhören, aber alles ohne richtige Struktur. Du traust dich nicht.«
    »Ich«, protestierte er, »ich soll mich nicht trauen?«
    »Normalerweise befasst man sich doch zuerst mit dem Opfer. Man nimmt es regelrecht auseinander, vom ersten Schrei nach der Geburt bis hin zum Tod. Dabei überprüft man alle Personen, die dem Opfer zu Lebzeiten über den Weg gelaufen sind, und dann überlegt man, wer denn von denen als Täter in Frage kommt. So ist es doch.«
    Er seufzte. Was sollte er darauf entgegnen? Sie hatte ja Recht.
    »Und davor hast du Angst. Du fürchtest dich vor dem Moment, da dir jemand bestätigt, dass dein alter Kumpel wirklich ein Pädophile war und dass du ihn durch diese Erkenntnis zum zweiten Mal tötest. Ist es nicht so?«
    Er konnte nicht umhin, ja zu sagen.
    »Aber wer A sagt, muss auch B sagen, Werner. Außerdem hast du ein schweres Geschütz im Nacken.«
    »Was? Wen denn?«
    »Andrea. Ich habe ihn vor einer halben Stunde getroffen und er hat mir schon von eurer eigentümlichen Allianz berichtet … Werner. Du kommst unter Druck, wenn du dich nicht entscheidest. Andrea ist ein Profi, und auch du solltest endlich anfangen, nüchtern zu denken. Dazu gehört auch, dass man wenigstens zulässt, auch über die dunklen Seiten seiner Freunde zu sinnieren. So wie ich Andrea verstanden habe, schließt er den Selbstmord noch nicht ganz aus.«
    Michaelis blickte Karin überrascht an. Hatte Andrea das wirklich so gesagt? Was war mit seinen Ausführungen in Bremers Büro?
    »Du meinst, er unterstützt mich nur scheinbar, um mich in Wirklichkeit langsam aber sicher von Kurts Selbstmord zu überzeugen?«
    Karin zuckte mit den Schultern und nahm sich dann das Glas mit dem Chai, in das sie ganz vorsichtig hineinblies. »Ich könnte mir das vorstellen.«
    »Aber warum sollte er das tun?«
    »Andrea ist dein Freund und ihm wird nicht entgangen sein, wie sehr dir diese ganze Geschichte an die Nieren gegangen ist.« Sie probierte vorsichtig einen Schluck aus dem Teeglas. »Ich könnte mir vorstellen, dass er Mitleid mit dir hat und sieht, dass du nicht von selbst von dem absurden Gedanken an ein Mordkomplott ablassen kannst. Und nun versucht er dich ganz sacht zu führen, bis es endlich klick bei dir macht.«
    »Und woher weißt du das? Hat er das so gesagt?«
    Sie winkte ab. »Andrea und was sagen? Aber ich kann nicht nur zwischen den Zeilen, sondern auch zwischen den Gehirnwindungen lesen.«
    Michaelis legte seinen Kopf in den Nacken und sah in den azurblauen Himmel. Wo war er und was machte er hier eigentlich? Hoch über Brandenburg schrieb ein Flugzeug lautlos seine Bahn in den Himmel und zog einen großen weißen Strich hinter sich her. Die Maschine hatte ihn längst überflogen und entfernte sich von Sekunde zu Sekunde weiter, und ihm war plötzlich, als nehme sie ein Stück seiner Seele mit.

13
    Michaelis saß an seinem Schreibtisch und stierte Löcher in die Luft. Er hatte Andrea angerufen und ihn gebeten, in die Pension zu kommen. Als Manzetti dann endlich da war, hatte Michaelis ihm mitgeteilt, dass er unbedingt reden müsse, aber noch einen Moment brauche, um seine Gedanken zu sortieren. Seitdem saßen sie schweigend in seinem Zimmer. Zwischendurch hatte Lotte einmal den Kopf zur Tür hereingesteckt, war aber samt ihrer Obstschale von ihrem durchdringenden Schweigen gleich wieder vertrieben worden.
    Während Manzetti hin und wieder eine andere Position einnahm, hatte Michaelis nur ein einziges Mal das Statuendasein aufgegeben, in die Hosentasche gegriffen, das vibrierende Handy herausgenommen und neben sich auf den Schreibtisch gelegt. Dann war er auch gleich wieder in die Starre gefallen.
    »Ich gehe jetzt«, sagte

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